Entscheidungsstichwort (Thema)

BK Anerkennung, insb. Nr. 1317. Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1303, 1317. Krankheitsbild. Nachweis. Lösungsmittelexposition. Enzephalopathie. Polyneuropathie. psychische Erkrankung. Sieb- und Tiefdrucker. Multiple Chemical Sensititvity-Syndrom

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Vorliegen einer Berufskrankheit bei beruflichem Kontakt mit Lösungsmitteln wie Toluol, Xylol, Ethanol, Butanon (insbesondere BK 1303 und 1317).

2. Es liegen nach derzeitigem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Anhaltpunkte dafür vor, dass psychische Erkrankungen durch eine Exposition gegenüber Lösungsmitteln verursacht werden können.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30. März 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger und Berufungskläger begehrt die Anerkennung zahlreicher Beschwerden als Berufskrankheit (BK), insbesondere als BK Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der 1965 geborene Kläger war zuletzt vom 1. Juli 1998 bis 30. April 2003 als Siebdrucker und Tiefdrucker bei der Firma L. beschäftigt und war bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten und Berufungsbeklagten, der Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung, gesetzlich unfallversichert (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet). Zunächst war er in der Siebdruckabteilung an zwei Maschinen eingesetzt, im September 2000 erfolgte eine Umsetzung an eine Lackmaschine (Produktion sowie Einrichten und Reinigen). Kurz danach begannen seine Beschwerden; er klagte damals vorrangig über "kegelförmige" Brustbeschwerden sowie eine allgemeine Tagesmüdigkeit. Später wurden weitere Beschwerden wie Schlafstörungen, rasche Ermüdbarkeit, Gewichtsverlust, Erbrechen, trockener Mund, Schweregefühl in den Beinen, (Kopf-)Schmerzen, Taubheitsgefühle, Wortfindungs- sowie Gedächtnisstörungen, Geschmacksstörungen, Herzrasen, Atemnot, Leistungsabfall, depressive Stimmung und Ängste geäußert. Ab Ende August 2002 war der Kläger krankgeschrieben. Zum 30. April 2003 wurde das Beschäftigungsverhältnis durch den Arbeitgeber gekündigt. Eine 2004 zu Lasten des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung begonnene Maßnahme zur beruflichen Eingliederung (Umschulung zum Technischen Zeichner - Maschinen- und Anlagentechnik) wurde aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig beendet. Im Januar 2008 wurde dem Kläger rückwirkend ab 1. November 2005 eine zeitlich unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt. Zudem ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 v.H. wegen seelischer Störung anerkannt (Bescheid vom 4. Dezember 2006).

Am 18. Oktober 2007 machte der Kläger gegenüber der Beklagten ein MCS-Syndrom (Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom) infolge Lösungsmitteleinwirkungen als BK geltend. Nach Mitteilungen der Beklagten, dass es sich beim MCS-Syndrom weder um eine BK noch um eine Wie-BK handele, verfolgte er die Angelegenheit zunächst nicht weiter. Bereits am 3. Juli 2008 ging bei der Beklagten jedoch ein Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich einer Unfallrente ein. Er gehe davon aus, dass seine Erkrankung, die zur Zuerkennung einer Rente wegen Erwerbsminderung geführt habe, Folge von Kontakten mit schädlichen Lösungsmitteln während seiner beruflichen Tätigkeit sei.

Weitere Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass der Betriebsarzt am 15. Februar 2001 einen Arbeitsplatzwechsel in einen Bereich ohne Lösungsmittelkontakt empfohlen hatte, um den Beschwerden des Klägers Rechnung zu tragen. Eine arbeitsmedizinische Notwendigkeit hierfür habe jedoch nicht bestanden. Regelmäßige Blutanalysen sowie körperliche Untersuchungen hätten keinen Hinweis auf eine Lösungsmittelbelastung ergeben. Auch Kontrolllaboruntersuchungen bei Schichtkollegen hätten ausschließlich unauffällige Ergebnisse erbracht. Lediglich einmal sei eine Abweichung des Acetonwertes festgestellt worden, die auf die unsachgemäße Anwendung der Atemmaske bei Reinigungsarbeiten zurückgeführt werden konnte.

Der Arbeitgeber des Klägers gab an, dass an den Maschinen zur Lackherstellung folgende Lösungsmittel verwendet wurden: Aceton, Butanon, Ethanol, Essigsäureethylester, Essigsäurebutylester, Diacetonalkohol, Cyclohexanon, Butanol, Toluol, Xylol, 2-Propanol, Methylethylketon und Äthylacetat.

In seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2009 führte der Technische Aufsichtsdienst (TAD) bezogen auf die BK 1301 bis 1317 aus, dass der Arbeitgeber des Klägers Halogenkohlenwasserstoffe, Schwefelkohlenstoff, Methylalkohol oder Dimethylformamid nicht eingesetzt habe, so dass die BK 1302, 1305, 1306 und 1316 bereits deshalb nicht zu berücksichtigen seien. Zu den Listenstoffen der BK 1303 gehörten Toluol und Xylol; beide stellten daneben auch Listenstoffe der BK 1317 dar. Zur BK 1317 gehörten zudem die Stoffe Ethanol (Alkohol) und Butanon (Methylethylketon). Die übrigen Lösungsmittel stellten keine Listenstoffe der ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge