Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Feststellung von Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die mit dem GKV Versorgungsstärkungsgesetz am 23.07.2015 in Kraft getretene Neuregelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB V ist nicht rückwirkend anwendbar auf die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit vor diesem Zeitpunkt.
2. Eine den Formerfordernissen entsprechende Feststellung von Arbeitsunfähigkeit muss nicht auf einem Auszahlschein oder einem anderen durch die AU Richtlinien vorgesehenen Vordruck (Muster 1 bzw. 17) erfolgen (vgl. BSG, 10. Mai 2012, B 1 KR 20/11). Versicherte, deren Arbeitunfähigkeit nicht zeitgerecht festgestellt wurde, können sich daher in der Regel nicht auf das Fehlen des Auszahlscheins berufen.
Normenkette
SGB V § 46 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 192 Abs. 1 Nr. 3, § 19 Abs. 1 S. 1; SGB X § 48
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Dezember 2015 aufgehoben und die Klage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Mai 2015 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld im Zeitraum 01.12.2014 bis 20.10.2015.
Die 1969 geborene Klägerin war als Erzieherin versicherungspflichtig beschäftigt, als am 22.04.2014 Arbeitsunfähigkeit wegen Neurasthenie eintrat, die der Dr. E. bescheinigte. Die Klägerin erhielt von der Beklagten Zahlscheine übersandt, auf denen jeweils vermerkt war, dass der nächste Zahlschein noch innerhalb der bisher bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ausgestellt werden müsse.
Am 31.10.2014 bescheinigte der Arzt Arbeitsunfähigkeit bis Sonntag, den 30.11.2014. Nächster Termin sei der 28.11.2014. Am 30.11.2014 endete das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin. Am 02.12.2014 übersandte die Beklagte Zahlscheine und wies darauf hin, dass zum Jahreswechsel der beigefügte Sonderzahlschein verwendet werden solle. Wenn dieser Zahlschein spätestens bis 17.12.2014 eingereicht werde, könne die Auszahlung des Krankengeldes noch im Jahr 2014 sichergestellt werden. Die Klägerin übermittelte hierauf den Sonderzahlschein mit den Daten des Dr. E., der am 12.12.2014 Arbeitsunfähigkeit bis 02.01.2015 festgestellt hatte. Auf Anfrage der Beklagten vom 16.12.2014 gab Dr. E. am 22.12.2014 auf einem Formblatt an, dass am 01.12.2014 eine Vorstellung der Klägerin erfolgt sei und er Arbeitsunfähigkeit bis zum 02.01.2015 festgestellt habe.
Am 06.01.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Feststellung vom 01.12.2014 zu spät erfolgt sei und daher die Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld geendet habe. Hierauf gab Dr. E. gegenüber der Beklagten an, dass die Klägerin am 28.11.2014 in seiner Praxis erschienen sei und erklärt habe, wenig Zeit zu haben, da ihr erkranktes Kind zu Hause sei. Er habe die Klägerin an der Anmeldung gesehen und eine Nachuntersuchung am 01.12.2014 vorgeschlagen, um an diesem Tag auch die Formalitäten zu erledigen. Dies sei dann auch so geschehen. Die Klägerin gab im Widerspruchsverfahren hingegen an, dass der Sachverhalt vom Arzt nicht richtig dargestellt worden sei. Am 28.11.2014 habe Dr. E. erklärt, dass ihm eine Untersuchung an diesem Tage wegen Überlastung der Praxis nicht möglich sei. Die Untersuchung solle am 01.12.2014 erfolgen und die Bescheinigung dann rückwirkend ausgestellt werden.
Die Klägerin trug weiter vor, noch vor dem 28.11.2014 habe sie sich mit der Sachbearbeiterin Frau T. in Verbindung gesetzt und darauf hingewiesen, dass ihr keine Auszahlscheine mehr vorlägen. Die Sachbearbeiterin habe erklärt, dass dies kein Problem sei, sie werde die Formulare übermitteln. Der Auszahlschein sei aber erst am 10.12.2014 eingegangen mit dem Hinweis, dass die Bescheinigung bis spätestens 17.12.2014 vorliegen müsse. Selbst wenn die Untersuchung am 28.11.2014 stattgefunden hätte, wäre es dem Arzt also nicht möglich gewesen, eine Bescheinigung zu erstellen. Eine formlose Bestätigung hätte die Beklagte nicht akzeptiert.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2015 zurück. Es liege eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin vor, die nicht für eine nahtlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit spätestens am 30.11.2014 gesorgt habe.
Im Klageverfahren am Sozialgericht Augsburg (SG) gab die Klägerin an, dass es die Mitarbeiterin der Beklagten Frau K. gewesen sei, die erklärt habe, es sei ausreichend, wenn weitere AU-Bescheinigungen bis zum 17.12.2014 übermittelt würden. Sie habe auch noch Mitte Dezember mit dieser Sachbearbeiterin gesprochen und gefragt, ob alles in Ordnung sei, was von der Mitarbeiterin bestätigt worden sei. Hierauf hat die Beklagte entgegnet, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auch formlos hätte erfolgen können. Die Klägerin sei mehrmals auf die Notwendigkeit der lückenlosen rechtzeitigen Feststellung hingewiesen worden. Der Vortrag zum Sonderformular sei nicht nachvollziehba...