Entscheidungsstichwort (Thema)

Grobe Fahrlässigkeit bei Nichterkennen einer falschen Umstellung von D-Mark auf Euro

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff).

2. Das Nichterkennen der Fehlerhaftigkeit einer Leistungsbewilligung ist grob fahrlässig, wenn der Fehler geradezu ins Auge springt. Das gilt auch für Leistungsempfänger, die richtige und vollständige Angaben gemacht hatten.

3. Es besteht eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen.

4. Wenn bei der Leistungsumstellung von D-Mark auf Euro infolge falscher Dateneingabe die Leistung versehentlich um rund 60 Prozent erhöht wird, handelt ein in seiner Erkenntnisfähigkeit nicht eingeschränkter Empfänger grob fahrlässig, wenn er diesen Fehler nicht erkennt.

5. Wenn auf Seiten des Leistungsempfängers grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist eine rückwirkende Bewilligungsaufhebung unabhängig davon rechtmäßig, ob auch die Behörde fahrlässig gehandelt hat.

 

Normenkette

SGB X § 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, § 50 Abs. 1; SGB III § 330 Abs. 2

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 25.02.2010; Aktenzeichen B 11 AL 178/09 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. März 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosenhilfe - Alhi - für den Zeitraum vom 29.04. bis 20.12.2002 sowie die Rückforderung von in diesem Zeitraum bereits geleisteter Alhi in Höhe von 1772,40 Euro streitig.

Die 1957 geborene Klägerin bezog ab 15.09.1997 Arbeitslosengeld. Ab 07.06.1998 gewährte ihr die Beklagte Alhi. Seitdem stand die Klägerin mit einigen Unterbrechungen, u.a. aufgrund von Zwischenbeschäftigungen vom 02.08.2001 bis 20.08.2001 als Büroangestellte und vom 03.12.2001 bis 06.01.2002 als Wachfrau im Bezug von Alhi und hatte mehrfach entsprechende Bewilligungsbescheide erhalten, u.a. einen Bescheid vom 05.01.2001, in dem neben dem bewilligten DM-Bezug der entsprechende EUR-Betrag ausgewiesen war, und einen Bescheid vom 04.07.2002, mit dem der Klägerin Alhi nach einem Bemessungsentgelt von 390,00 DM in Höhe von 164,43 DM für den Zeitraum ab 07.06.2001 bewilligt wurde. Am 29.04.2002 meldete sie sich erneut arbeitslos und beantragte am 21.05.2002 Alhi.

Mit Bescheid Mit Bescheiden vom 12.07.2002 bewilligte die Beklagte Alhi vom 29.04. bis 06.06.2002 und vom 07.06.2002 bis 06.06.2003.

Mit Bescheiden vom 27.12.2002 und vom 30.12.2002 wurden diese Entscheidungen über die Alhi-Bewilligung nach entsprechender Anhörung für die Zeit vom 29.04.2002 bis 06.06.2002 teilweise in Höhe von 51,87 EUR wöchentlich und für die Zeit vom 07.06.2002 bis 20.12.2002 teilweise in Höhe von 52,71 EUR wöchentlich zurückgenommen. Alhi habe nur in Höhe von 84,35 bzw. 82,18 EUR wöchentlich zugestanden. Insgesamt sei ein Betrag in Höhe von 1.772,40 EUR zu Unrecht gezahlt worden. Die fehlerhafte Zahlung sei durch einen Berechnungsfehler zu Stande gekommen, weil die der Leistung zu Grunde liegenden Berechnungsdaten nicht von DM-Beträgen in Euro-Beträge umgerechnet worden sei.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie hätte die Überzahlung nicht mit einfachsten Überlegungen erkennen können. In den Bescheiden werde in einem Zusatz angegeben, dass der Leistungsbetrag einen zusätzlichen Betrag enthalte, dass das mit der Währungsumstellung zu tun habe und dass ihr eigentlich weniger zustehe. Sie habe gedacht, es handle sich hierbei um eine Angleichung der DM an den EUR, da sich ja die allgemeine Preisentwicklung seit 01.01.2002 kontinuierlich in Richtung eins zu eins (EUR im Verhältnis zu DM) bewegt habe. Sie habe folglich vollkommen auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2005 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Aus dem Änderungsbescheid vom 05.01.2001 habe die Klägerin ablesen können, dass der Leistungssatz ab 01.01.2001 in Euro pro Woche 85,97 EUR betrage. Sie habe ab 29.04.2002 nicht auf den wesentlich höheren Leistungssatz von 136,22 EUR wöchentlich vertrauen dürfen. Außerdem habe sie erkennen müssen, dass ein Bemessungsentgelt von wöchentlich 390,00 DM (Bescheid vom 04.07.2002) sich nicht im Bescheid vom 12.07.2002 auf ein Bemessungsentgelt von 385,00 EUR wöchentlich erhöhen könne. Der Leistungssatz habe im Bescheid vom 04.07.2002 wöchentlich 164,43 DM und im Bescheid vom 12.07.2002 wöchentlich 136,22 EUR ab 29.04.2002 betragen. Diese Erhöhung habe sich die Klägerin nicht mit der erwähnten Besitzstandsregelung erklären dürfen. Dass sich die Preise bei der Umstellung von DM auf EUR Richtung eins zu eins bewegen, sei zur Zeit der Einführung des Euro zwar in Medien im Gespräch gewesen, aber in dem Zusammenhang, dass sich die Löhne und Gehälter gerade nicht in diesem ...

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