Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufskrankheit. Bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten. Langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung. Arbeitstechnische Voraussetzungen. Schädigende Einwirkung. Orientierungswerte. Mainz-Dortmund-Dosismodell. Kausalzusammenhang

 

Leitsatz (amtlich)

Eine medizinische Sachverhaltsaufklärung im Einzelfall kann unterbleiben, wenn das Vorliegen einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule ...) bereits deswegen ausgeschlossen ist, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen auf Grund der Untersuchung des hälftigen Mindestbelastungswertes nach dem Mainz-Dortmund-Dosismodell (MDD) nicht gegeben sind (Bestätigung von BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R).

 

Normenkette

SGB VII § 9 Abs. 1 S. 1; BKV Anl. 1 Nr. 2108; SGB X § 44

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 18.06.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII). Streitig zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV): Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Der Facharzt für Neurochirurgie Dr.L. zeigte unter dem 31.03.2008 an, dass der 1963 geborene Kläger u.a. an einem Bandscheibenprolaps C6/7 links, einem Nervenwurzelreizsyndrom C7 links und chronischen Cervikobrachialgien links leide. Da der Kläger seit 18 Jahren in der Firma E. GmbH in W. arbeite, werde die Abklärung einer Berufskrankheit angeregt.

Der Kläger gab im Fragebogen vom 21.04.2008 an, er sei seit dem 05.05.1991 als Arbeiter/Maschinist in der oben genannten Großbäckerei tätig. Er habe schwere Lasten heben, über Treppen tragen und schieben müssen. So habe er 5- bzw. 40-mal pro Arbeitsschicht Zucker und Fett mit einem Gewicht von 20 bis 50 kg beidhändig bzw. 5- bis 6-mal pro Arbeitsschicht Mehl und Altbrot mit einem Gewicht von 15 bis 50 kg mit einem Hubwagen getragen. Außerdem habe er Paletten von 600 kg mit einem Hubwagen und Kessel mit einer Last von 400 bis 450 kg gezogen.

Dr.L. teilte mit Arztbrief vom 17.05.2008 mit, der Kläger habe ihn erstmalig am 10.03.2008 wegen Wirbelsäulenbeschwerden in Anspruch genommen. Er leide seit 5 Monaten unter Schmerzen von der linken Schulter in den Oberarm ausstrahlend mit Taubheit am linken 1. und 2. Finger. Im Übrigen habe er einen Bandscheibenprolaps C6/7 links sowie ein C7-Nervenwurzelreizsyndrom links festgestellt.

Dr.S. wies mit Arztbrief vom 22.05.2008 auf einen Bandscheibenvorfall L4/L5 mit operativer Prolapsentfernung vom 03.04.2000 hin. Beigefügt war der Arztbrief des Dr.S. vom 03.12.2007. Dieser hatte ein rezidivierendes C6-Wurzelreizsyndrom und sensible Druckschädigung bei linksmediolateralem Prolaps diagnostiziert. Dabei sei die C7-Wurzel nicht beteiligt gewesen.

Der Arbeitgeber des Klägers teilte unter dem 30.05.2008 mit, dass dieser während seiner beruflichen Tätigkeit Lasten von bis zu 10 kg gehoben habe. Dabei habe er keine größeren Entfernungen zurücklegen müssen. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung seien von dem Kläger nicht durchzuführen gewesen. Ihm hätten vor allem die Bedienung und das Überwachen von Produktionsanlagen in der Bäckerei oblegen.

Ausweislich des Befundberichtes des Klinikums A. vom 11.06.2008 litt der Kläger seit 1999 an Lumboischialgien. Ein großer mediolateraler nach kaudal sequestrierter Bandscheibenvorfall L4/L5 rechts sei im MRT der Lendenwirbelsäule vom 16.02.2000 festgestellt worden.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten ermittelte bei der Firma E. GmbH, dass der Kläger seit 1991 bis jetzt als Produktionsmitarbeiter 8 Stunden täglich im 2-Schichtbetrieb in der oben genannten Großbäckerei mit automatischem Prozessablauf beschäftigt war. Als Maschinenbediener an verschiedenen Anlagen war er für Überwachungsaufgaben und Gewichtskontrollen zuständig. Meistens wurden Brot und Brötchen produziert. Dabei wurden von dem Kläger Teigkessel gezogen oder geschoben. Überwiegend in den Monaten Januar und Februar musste bei der Krapfenproduktion 1- bis 3-mal pro Tag Zucker in einen 50-kg-Sack aufgefüllt werden. Sporadisch waren beispielsweise Backzutaten wie ein Karton Fritierfett à 10 kg bzw. 20 kg sowie im etwa 2-stündigen Rhythmus ein Sack Hefe à 15 kg zu heben. Weitere nennenswerte Hebe- und Tragetätigkeiten seien hierbei nicht anfallen. Die Häufigkeit der lediglich sporadisch anfallenden Hebe- bzw. Tragetätigkeiten während der Schicht lasse...

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