Leitsatz (amtlich)
1. Zur eheähnlichen Gemeinschaft:
a) Eine eheähnliche Gemeinschaft hat drei Voraussetzungen: Es muss sich um Partner handeln, diese müssen in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben und sie müssen den Willen haben, füreinander einzustehen und Verantwortung zu übernehmen (Einstandswille).
b) Die Vermutung nach § 7 Abs. 3a SGB II gilt nur für den Einstandswillen und nur wenn die dort genannten Anknüpfungstatsachen belegt sind.
c) Abgesehen von § 7 Abs. 3a SGB II hat im Zweifelsfall die Behörde die objektive Beweislast für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft.
2. Ein Entziehungsbescheid nach § 66 SGB I erledigt sich gemäß § 39 Abs. 2 SGB X, wenn nachfolgend eine Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung erfolgt.
Tenor
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 8. Juni 2010, der Aufhebungsbescheid vom 16.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2010 und die vorläufige Bewilligung vom 16.03.2010 aufgehoben. Auf die Klage wird der Bescheid vom 15.07.2010 aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Klage- und das Berufungsverfahren zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind die Aufhebung einer zuvor schon entzogenen Bewilligung von Arbeitslosengeld II für Januar bis Mai 2010, die nachträgliche vorläufige Bewilligung sowie die endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs auf null. Strittig ist insbesondere das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft der Klägerin mit Herrn H.
Die im Jahr 1961 geborene Klägerin stammt aus China. Sie lebt von ihrem deutschen Ehemann getrennt. Die Klägerin und ihr 1999 in der Ehe geborener Sohn wohnen seit Ende 2006 in einer Drei-Zimmer-Wohnung ohne Zentralheizung in S. und beziehen seitdem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.
Nach einem anonymen Hinweis, wonach bei der Klägerin ein Mann wohne, wurde bei einem vom Beklagten veranlassten Hausbesuch im Februar 2008 festgestellt, dass es keinen Anhalt für eine eheähnliche Gemeinschaft gebe. Bei einem Hausbesuch des Jugendamtes im Dezember 2008 wurde festgestellt, dass das Kinderzimmer keinen Ofen hatte und der Ofen im Schlafzimmer nicht mehr funktionstüchtig war. Die Klägerin könne ihren Sohn - zu der Zeit Schüler in der 3. Klasse - wegen fehlender Deutschkenntnisse in der Schule kaum unterstützen.
Auf den Fortzahlungsantrag hin wurde der Klägerin mit Bescheid vom 06.11.2009 Arbeitslosengeld II für Dezember bis einschließlich Mai 2010 in Höhe von monatlich 622,75 Euro bewilligt. Für den Sohn wurden keine Leistungen bewilligt, weil dessen Bedarf durch Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und Kindergeld abgedeckt war.
Am 04.12.2009 teilte der Zeuge M. dem Beklagten mit, dass bei der Klägerin "wahrscheinlich jemand wohne", der in S. bei der Bundeswehr sei. Der Zeuge wolle näher nachforschen.
Am 16.12.2009 erfolgte gegen 8:15 Uhr ein unangemeldeter Hausbesuch durch zwei Beschäftigte des Beklagten (Frau E. und die Zeugin Sch.) sowie den Zeugen M. Als die Hausbesucher noch im Treppenhaus des Mehrparteienhauses vor der Wohnungstüre warteten, kam Herr H. in Bundeswehruniform in Begleitung eines Hundes und bat die Hausbesucher in die Wohnung. Laut Protokoll "verfügte" Herr H. über einen Wohnungsschlüssel. Auf Befragen erklärte Herr H., dass er der Freund der Klägerin sei und in W. wohne. Herr H. sprach kurz auf Englisch mit der Klägerin, übergab dieser drei Semmeln und ging wieder. Anschließend begingen die Hausbesucher zusammen mit der Klägerin die Wohnung. Im Kleiderschrank im Schlafzimmer befanden sich zwei Motorradanzüge und laut Protokoll "Bekleidungsstücke zu Dienstzwecken sowie für private Zwecke des Herrn H.". Im Schlafzimmer befand sich ein Bett von 1,40 Meter Breite, das auf beiden Seiten mit gleicher Bettwäsche bezogen war. In der Wohnung befanden sich ferner defekte Elektrogeräte, die Herr H. reparieren wollte, Sportpokale und verschiedene schriftliche Unterlagen von Herrn H. Im Bad wurden zwei Toilettenartikel für Männer gefunden. Die Klägerin teilte mit, dass die Möbel des Wohnzimmers von Herrn H. seien.
Die Klägerin wurde schriftlich darüber informiert, dass die Leistung vorläufig eingestellt werde, und aufgefordert, Einkommensunterlagen vorzulegen. Die Klägerin sei mit Herrn H. zusammengezogen. Dazu teilte die Klägerin mit, dass Herr H. keineswegs eingezogen sei. Er wohne weiterhin in W.
Mit Entziehungsbescheid vom 15.01.2009 wurden die bewilligten Leistungen ab 01.01.2010 entzogen. Die Klägerin habe die Unterlagen von Herrn H. nicht vorgelegt. Dagegen wurde erfolglos Widerspruch eingelegt (Widerspruchsbescheid vom 11.03.2010). Die zugehörige Klage vor dem Sozialgericht Augsburg (S 6 AS 394/10) wurde im Juni 2010 zurückgenommen.
Bei einer persönlichen Vorsprache mit der Klägerin im Januar 2010 teilte Herr H. mit, dass keine Beziehung, nur eine Freundschaft bestehe und er dem Sohn der Klägerin bei den Hausaufgaben helfe. Die Möbel h...