Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen B. ständige Begleitung. Kind mit Diabetes mellitus. latente Gefahr von hypoglykämischen Schocks. gleiche Kriterien wie bei Erwachsenen
Leitsatz (amtlich)
Die Zuerkennung des Merkzeichens H bei einem Kind, das an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus leidet, bedingt nur in (hier nicht gegebenen) Ausnahmefällen auch die Zuerkennung des Merkzeichens B. Denn die latente Gefahr des Erleidens hypoglykämischer Schocks ist hinsichtlich des Merkzeichens B nicht ausreichend, um die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zu begründen.
Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Nachteils B bei einem behinderten Kind vorliegen, sind vielmehr dieselben Kriterien wie bei einem Erwachsenen maßgebend.
Normenkette
SGB IX § 146 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1 S. 1, § 69 Abs. 1 S. 5; SGB XI § 15 Abs. 2; VersMedV § 2 Anl. Teil D Nr. 2, § 2 Anl. Teil A Nr. 5; BVG § 30 Abs. 1, 16
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 1. Oktober 2013 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2013 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die 2007 geborene kindliche Klägerin ist schwerbehindert im Sinne von §§ 2 Abs. 2, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Merkzeichens "B" im Sinne von § 146 Abs. 2 SGB IX streitig.
Die Klägerin leidet an einem Diabetes mellitus, der mit Diät und Insulin einstellbar ist. Auf den Erstantrag vom 03.03.2010 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 05.05.2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 fest, ebenso die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H". Mit Bescheid vom 12.09.2012 wurde die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" abgelehnt.
Auf den weiteren Antrag vom 04.10.2012 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.10.2012 die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" ab. Im Hinblick auf beide beantragte Merkzeichen sei darauf hinzuweisen, dass bei Kindern und Jugendlichen für die Beurteilung dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend seien.
Der gesetzliche Vertreter der Klägerin beantragte mit Widerspruch vom 15.10.2012 die Zuerkennung des Merkzeichens "B". Seine schwerbehinderte Tochter sei unter 16 Jahre alt und bedürfe wegen des Diabetes mellitus der ständigen Begleitung.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2013 zurück. Ein Kind mit einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus habe nur unter den gleichen Bedingungen wie ein Erwachsener Anspruch auf den Nachteilsausgleich "B". Tagsüber auftretende, häufige hypoglykämische Schockzustände, die eine Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erforderlich machen würden, seien durch die ärztlichen Unterlagen nicht nachgewiesen. Hypoglykämien seien nicht beschrieben.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben mit Klage zum Sozialgericht München (SG) vom 15.02.2013 beantragt, das Merkzeichen "B" zuzuerkennen.
Das SG hat die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten beigezogen und Dr. M. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser ist mit fachinternistischem Gutachten vom 29.04.2013 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Allgemeininspektion keine Auffälligkeiten bestanden haben. Das altersentsprechend gesund aussehende Kind hat äußerlich keine Symptome gravierender Gesundheitsstörungen im Bereich der inneren Organe und des Bewegungsapparates geboten. Es ist örtlich und zeitlich für das Alter ausreichend orientiert gewesen. Der Gang und das Bewegungsbild sind nicht erkennbar gestört gewesen. Auch psychisch ist es altersentsprechend unauffällig gewesen. Dennoch sei das Merkzeichen "B" zuzuerkennen. Im vorliegenden Fall bestehe eine so schwerwiegende Erkrankung mit einer hochgradigen Gefährdung durch Unterzuckerung, dass eine ständige Begleitung medizinisch indiziert sei.
Dr. S. hat mit internistisch-versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 16.05.2013 entgegnet, durch die Zuerkennung des Merkzeichens "H" sei bereits festgestellt worden, dass das Kind aufgrund der Erkrankung als "hilflos" anzusehen sei und deshalb eine Hilfsperson/Begleitperson benötige, um die Zuckerkrankheit zu überwachen. Hinsichtlich des Merkzeichens "B" sei entscheidend, ob Erwachsene mit der gleichen Gesundheitsstörung regelmäßig eine Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel benötigten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Dr. M. hat mit Stellungnahme vom 25.06.2013 darauf hingewiesen, die potentiell lebensbedrohlichen Zustände der Unterzuckerung sollten nicht einfach unerfahrenen Mitreisenden in öffentlichen Verkehrsmitteln überlassen werden. Hier seien Begleitpersonen notwend...