Leitsatz (amtlich)
Zur Feststellung des Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist es unerheblich, ob die berichteten Beschwerden und Gesundheitsstörungen durch die Einwirkung elektromagnetischer Felder aufgrund der vom Kläger angenommenen Elektrosensibilität verursacht werden oder ob sie eine andere Ursache haben. Entscheidend hinsichtlich der Einschätzung des Leistungsvermögens sind vielmehr die sich daraus ergebenden Funktionseinschränkungen und qualitativen und gegebenenfalls quantitativen Leistungseinschränkungen bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 11.05.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Der 1962 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 14.05.2018 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger gab dabei an, vom 01.09.1977 bis 31.08.1980 den Beruf eines Bäckers erlernt zu haben; nach einer Tätigkeit als Zeitsoldat sei er anschließend als Schreiner versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, ehe er im Jahr 2007 eine Tätigkeit als Elektromotorenbauer aufgenommen habe, die er aktuell - d.h. zum Zeitpunkt der Antragstellung - noch ausübe. Er halte sich seit Juni 2016 für erwerbsgemindert und könne keine Tätigkeiten mehr verrichten. Arbeitsunfähig erkrankt sei er seit 10.06.2016.
Der Kläger bezog Krankengeld und danach Arbeitslosengeld bis 08.11.2019. Danach bezog der Kläger keine Sozialleistungen mehr; Arbeitslosmeldung ist bis Ende Dezember 2019 dokumentiert.
Beim Kläger war vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, Region Unterfranken, Versorgungsamt im Jahr 2018 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 anerkannt worden.
Am 22.05.2018 wurde der Kläger auf Veranlassung der Agentur für Arbeit Aschaffenburg durch P untersucht, jedoch ohne spezielle körperliche Untersuchung. An Diagnosen wurden aufgeführt:
1. Depressive Störung als schwere Episode ohne psychotische Symptome.
2. Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik.
3. Paroxysmales Vorhofflimmern, Zustand nach zweimaliger Ablation wegen Reentry-Tachykardie.
4. Maligne Hypertonie mit Entgleisungsneigung.
5. Schilddrüsendysfunktion.
6. Rezidivierendes Halswirbelsäulen-Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit Brachialgien und Ischialgien.
7. Metatarsalgie bei Senk-Spreizfuß beidseits.
8. Großzehengrundgelenkarthrose links.
9. Schwindel, rezidivierend - periphere vestibuläre Läsion links.
10. Tinnitus, chronisch.
Aktuell könne dem Kläger kein wesentliches Leistungsvermögen für eine zustandsangepasste Erwerbsarbeit attestiert werden und es sei auch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als gegeben anzusehen, dass durch medizinische Maßnahmen binnen sechs Monaten wieder ein relevantes einschlägiges Leistungsvermögen hergestellt werden könne. Die Nahtlosigkeitsregelung gemäß § 145 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) solle angewandt werden.
Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 26.06.2018 durch den Psychiater M und am 23.07.2018 durch den Internisten S untersucht. Der Kläger berichtete dabei von Panikattacken; am meisten würden ihn Herzrhythmusstörungen und Herzrasen belasten. Außerdem habe er Hitzewallungen, Kopfschmerzen und bekomme schlecht Luft. Er reagiere seit ca. einem Jahr extrem auf Elektrizität, z. B. auf Handys, Strommasten, den Herd oder Stromleitungen und habe dann starke Kopfschmerzen, Hitzegefühl, Pulsrasen und eine Rötung im Gesicht.
Zusammengefasst wurden von den Gutachtern folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Angst und depressive Störung, gemischt.
2. Panikstörung.
3. Arterielle Hypertonie.
4. Paroxysmale absolute Arrhythmie bei rezidivierendem Vorhofflimmern und Zustand nach AV-Knoten nach Reentry-Tachykardie mit zweimaliger Ablation 2000 und 2001.
5. HWS-Syndrom bei Bandscheibenvorfall C 6/C 7.
6. Kopfschmerzsymptomatik.
7. Tinnitus beidseits.
8. Rezidivierender Schwindel bei Hinweis auf vestibuläre Störung links, Schlafstörung.
9. LWS-Syndrom bei Bandscheibenvorfall L 5/S 1.
10. Gonalgien beidseits.
11. Adipositas.
Daraus ergebe sich folgendes Gesamtleistungsbild: Leichte Tätigkeiten, sechs Stunden und mehr, überwiegend im Sitzen, ohne wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten, ohne häufiges Bücken, Klettern oder Steigen, ohne Heben und Tragen von Lasten über circa 7,5 kg, keine häufigen Überkopfarbeiten und überschaubarer Zeitdruck bzw. psychischer Druck, keine Nachtschicht. Der Kläger könne damit auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit mehr als sechs Stunden täglich ausüben, da Einschränkungen in der Aufmerksamkeit bzw. konzentrative Belastungen nicht festgestellt worden seien.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 27.07.2018 ab. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung seien beim Kläger nicht erfüllt. Der Kläger könne noch ...