Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzgeld. Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ausschlussfrist. Kenntnis vom Insolvenzereignis. Verschulden. Rechtsirrtum. Insolvenzgeldanspruch: Versäumung der Ausschlussfrist bei Anzeige eines Insolvenzverwalters

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelungen über die Ausschlussfrist in § 324 Abs 3 SGB III stehen nicht in Widerspruch zu Europäischem Recht.

Zeigt sich ein Insolvenzverwalter an und bleibt der Arbeitnehmer dennoch zunächst zwei Wochen bis zum Ablauf der Ausschlussfrist untätig, hat er sich nicht ausreichend um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht.

 

Normenkette

SGB III § 324 Abs. 3, § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB X § 26 Abs. 1; BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 1, § 276

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 04.04.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.03.2009.

Der Kläger ist gelernter Bäcker. Seit Dezember 2001 war er als geschäftsführender Gesellschafter zunächst mit einem Gesellschaftsanteil von 1/2, später von 1/3, bei der B.- und E. GmbH (B.) beschäftigt. Im Rahmen der Gesellschafterversammlung der B. am 30.03.2009 wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen und der Geschäftsführungsdienstvertrag außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt, gekündigt. Dagegen wandte sich der Kläger mit einer Klage an das Landgericht B-Stadt (Az: 1 HK O 68/09) und machte daneben rückständige Gehaltsforderungen geltend. Im Rahmen einer Verhandlung vor dem Landgericht B-Stadt, bei der der Kläger auch selbst anwesend war, wurde vom gegnerischen Rechtsanwalt mitgeteilt, dass am 16.04.2010 beim Amtsgericht - Insolvenzgericht - B-Stadt ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich des Vermögens der B. gestellt worden sei. Die Klage vor dem Landgericht B-Stadt hat der Kläger am 09.10.2012 zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 30.06.2010 hat das Amtsgericht - Insolvenzgericht - B-Stadt das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. eröffnet (Az: ) und Rechtsanwalt Dr.H., B-Stadt, als Insolvenzverwalter bestellt. Dieser zeigte sich mit Schreiben vom 06.08.2010 gegenüber dem Kläger an und forderte zum Ausgleich noch offener Beträge auf.

Nach eigenen Angaben habe der Kläger am 31.08.2010 seinen Bevollmächtigten aufgesucht und anschließen - auf den Rat des Bevollmächtigten - noch am selben Tag bei der Beklagten Insolvenzgeld im Hinblick auf nicht geleistetes Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.03.2009 beantragt. Der Antrag sei innerhalb der Ausschlussfrist gestellt worden, da mit "Beschluss vom 01.07.2010" das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen sei der Eröffnungsbeschluss nicht an ihn zugestellt worden. Der Bevollmächtigte habe aber mit Schreiben vom 16.08.2010 beim Insolvenzgericht nachgefragt, ob und wann mit der Eröffnung des Verfahrens zu rechnen sei.

Mit Bescheid vom 07.12.2010 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Insolvenzgeld ab. Das Insolvenzverfahren sei bereits am 30.06.2010 eröffnet worden. Trotz Kenntnis des Bevollmächtigten habe dieser nicht rechtzeitig innerhalb der Zwei-Monats-Frist einen Insolvenzgeldantrag gestellt. Am 31.08.2010 sei diese Frist abgelaufen gewesen und eine Nachfrist könne nicht gewährt werden. In seinem dagegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger vor, eine Vollmacht hätte zunächst nicht vorgelegen und er habe keine Kenntnis von einem Insolvenzereignis gehabt. Erst am 15.09.2010 habe der Insolvenzverwalter den Eröffnungsbeschluss vom 30.06.2010 übersandt. Im Übrigen sei unter Berücksichtigung der Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt vom 23.02.2005 - L 2 AL 55/03 - und des LSG Hessen vom 26.10.2007 - L 7 AL 185/05 - die Fristenregelung des § 324 Abs 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) europarechtskonform und damit restriktiv auszulegen. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2011 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Die zweimonatige Ausschlussfrist zur Geltendmachung des Insolvenzgeldes sei am 30.08.2010 abgelaufen. Aus dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 hätte eindeutig geschlossen werden können, dass bereits eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei. Nachdem der Kläger erst am 31.08.2010 wieder Kontakt zu seinem Bevollmächtigten aufgenommen habe, habe er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht. Im Hinblick auf die durch das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 vermittelte Kenntnis vom Insolvenzverfahren könne keine Nachfrist eröffnet werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei ebenfalls nicht möglich.

Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und ergänzend ausgeführt, er habe aus dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 keine hinreichende Kenntnis vom Insolvenzereignis gehabt. Es sei auf die Verständnismöglichkeiten eines durchsc...

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