Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallbegriff. unfreiwillige Körpereinwirkung. Selbstmord. betrieblicher Umstand. psychisches Trauma. plötzlich eintretendes und zeitlich begrenztes Ereignis. psychischer Schock. belastendes Personalgespräch: Entbindung von Leitungsfunktion. Gehaltskürzung. Abmahnung. Kündigungsandrohung. Abschiedsbrief
Orientierungssatz
Der Suizid eines Versicherten ist als Arbeitsunfall anzuerkennen, wenn er auf einem psychischen Trauma beruht, welches durch einen betrieblichen Vorgang mit überragender psychischer Belastung ausgelöst wurde (hier: Selbsttötung nach Personalgespräch mit Geschäftsführung, beinhaltend Entbindung von Leitungsfunktion, Gehaltskürzung, Abmahnung und Kündigungsandrohung).
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.06.2004 und der Bescheid vom 25.06.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Tod des Versicherten H. K. als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung einer Selbsttötung als Arbeitsunfall und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.
Der 1950 geborene Versicherte und Vater der Klägerin war als Konstruktionsleiter bei der Fa. E. W. GmbH beschäftigt. Er verstarb zwischen dem 24.05.2001, 23.00 Uhr und 25.05.2001, 05.00 Uhr durch Selbsttötung.
Die Mutter der Klägerin beantragte am 21.11.2001 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen. Ihr Ehemann - der Versicherte - habe sich "wegen Mobbings" am Arbeitsplatz das Leben genommen. Sie übersandte der Beklagten einen Abschiedsbrief, der folgenden Wortlaut hatte: "Von den Herren W. jr, R., S., S., S. u.a. wurde ich abgeschlachtet; nicht nur beruflich. Wahrscheinlich als gesellschaftsunfähig bezeichnet. Ich liebe Euch! Euer Versager 24.05.2001 K.".
Weiter übersandte sie ein Schreiben der Fa. E. W. GmbH vom 22.05.2001, unterzeichnet durch E. W. jun., das sie am 25.05.2001 erhalten habe. Dieses Schreiben war an den Versicherten gerichtet und war in der Betreffzeile überschrieben mit: "Personalgespräch am 22.05.2001 14.30 Uhr". Weiter heißt es auszugsweise: "Am 22.05.2001 wurde Ihnen bei einem Personalgespräch unter Anwesenheit der Herren R., S. und S. eine Abmahnung erteilt. Die Vorwürfe wurden Ihnen im Detail erläutert ... Sollten weitere Verstöße gegen Ihren Arbeitsvertrag auftreten, sehen wir uns gezwungen, den mit Ihnen geschlossenen Arbeitsvertrag zu kündigen. Über weitere, folgende Maßnahmen unsererseits wurden Sie in Kenntnis gesetzt: 1. Ab sofort werden Sie von Ihrer Funktion als Konstruktionsleiter entbunden. 2. Ab 01.06.2001 wird ihr Gehalt um 500,- DM für den Zeitraum von 6 Monaten reduziert. Nach diesem Zeitpunkt wird unsererseits ihre Arbeitsweise neu bewertet."
Die Beklagte befragte die Fa. E. W. GmbH. Diese erläuterte unter dem 13.12.2001, dass sich die mündlich erteilte Abmahnung auf die Weigerung des Versicherten bezogen habe, als Leiter der Konstruktion das seit einem Jahr neu angeschaffte CAD-System Catia V5 einzusetzen. Bereits vor einem halben Jahr habe ein Gespräch mit dem Versicherten, der Geschäftsleitung und der Entwicklungs- sowie EDV-Leitung stattgefunden, da der Versicherte keine Maßnahmen ergriffen habe, das neue System einzuführen. Ein Einführungszeitplan sei erarbeitet worden, den der Versicherte trotz mehrfachen Anmahnens ignoriert habe. Auch habe der Versicherte die von ihm selbst vorgegebenen Konstruktionsstunden für Einzelprojekte laufend erheblich überzogen. Die Arbeitsweise der letzten Monate habe nicht der fachlichen Kompetenz und Leistungsfähigkeit des Versicherten entsprochen.
Aus der von der Beklagten beigezogenen polizeilichen Ermittlungsakte ist die Aussage des Sohnes des Versicherten, A. K., vom 25.05.2001 (06.31 Uhr) zu entnehmen. Er gab an, dass sein Vater seit einigen Tagen eine sehr schlechte Laune gehabt habe. Er habe in seiner Arbeit Probleme gehabt. Es seien ihm neue Vorgesetzte vor die Nase gesetzt worden, die zuvor unter ihm gearbeitet hätten. Der Vater hätte neulich gesagt, dass man ihm in der Firma eine Falle gestellt habe und er blauäugig reingetappt sei. Die Ehefrau des Versicherten erklärte am 25.05.2001 (06.41 Uhr), dass ihr Ehemann am vergangenen Dienstag eine Besprechung mit der Geschäftsleitung und anderen Kollegen gehabt habe. Es seien ihm zwei Leute vor die Nase gesetzt worden, die ursprünglich unter ihm gearbeitet hätten. Ihm sei gesagt worden, dass er zwar ein guter Konstrukteur sei, aber die Firma auch ohne ihn auskomme. Gekündigt worden sei ihrem Ehemann nicht. Trotzdem habe ihm das sehr zu schaffen gemacht. Er habe in den letzten Nächten kaum schlafen können. Ihr Ehemann sei am Mittwoch beim Hausarzt Dr. G. gewesen, der ihn aufgrund psychischer Belastungen krank geschrieben habe. Heute, am Freitag, habe...