Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragszahnärztliche Versorgung. Sachlich-rechnerische Berichtigung von Honorarabrechnungen. Mehrfachabrechnung von Wurzelspitzenresektionen an mehrwurzeligen Seitenzähnen. Vertrauensschutz. Abrechnungsempfehlung. Rückwirkungsverbot

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die von einem Gericht festgestellte Rechtswidrigkeit einer bestimmten Abrechnungsweise, wie das unzulässige Mehrfachabrechnen von Leistungen nach der Bema-Nr. 54b bei Wurzelspitzenresektionen an einem mehrwurzeligen Seitenzahn, hat zur Folge, dass diese Auslegung für die gesamte Geltungsdauer der entsprechenden Gebührennummer gilt.

2. Ein besonderer Vertrauenstatbestand kann durch eine Abrechnungsempfehlung der Kassenärztlichen Vereinigung nur geschaffen werden, wenn diese durch eine besondere Handlung die Zahnärzte in ihrer Meinung bestärkte, dass die Mehrfachabrechnung rechtens sei.

3. Das aus Art. 20 GG abzuleitende Rückwirkungsverbot kann gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung von Honorarbescheiden nicht eingewandt werden. Denn die Leistungserbringer müssen eine Korrektur ihrer Abrechnung solange hinnehmen, bis sie wegen einer umfassenden sachlich-rechnerischen Prüfung oder Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw. wegen des Ablaufs der vierjährigen Ausschlussfrist mit keiner Änderung mehr rechnen durften.

4. Honorarbescheide müssen nur mit einem Vorbehalt der späteren Berichtigung oder Kürzung versehen werden, wenn die Unrichtigkeit des Regelwerks, wie des Honorarverteilungsmaßstabs, dessen Anwendung in den Verantwortungsbereich der KV fällt und auf dem die gesamte Honorarabrechnung beruht, vor einem Sozialgericht streitbefangen ist.

 

Normenkette

SGB V § 75 Abs. 2 S. 2 1. HS; GG Art. 20

 

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 05.10.2000 wird in Ziffer II aufgehoben.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kläger haben der Beklagten die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten - zuletzt nur noch - über die Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Berichtigungen der Honorarabrechnungen des 3. und 4. Quartals 1994, aller Quartale des Jahres 1995 und des 1. Quartals 1997 wegen der mehrfachen Abrechnung von Leistungen nach der Nr. 54 b und c des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z) im Primärkassenbereich bzw. der Anlage 1 des Ersatzkassenvertrages-Zahnärzte (EKV-Z) im Ersatzkassenbereich (nachfolgend nur Bema-Nr. 54 b und c).

Die Kläger nehmen als Zahnärzte und Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen einer Gemeinschaftspraxis in A. an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Am 20.11.1998 informierte sie die beklagte kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns (KZVB), dass Wurzelspitzenresektionen an mehrwurzeligen Zähnen nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13.05.1998 (SozR 3-5555 § 10 Nr.1) entsprechend der Bema-Nr. 54 nur einmal je Zahn und Sitzung abrechenbar seien. Sie werde daher die Berichtigung solcher Fälle rückwirkend bis 1994 durchführen. Der rückzubelastende Betrag belaufe sich für das 1. Quartal 1994 auf 5.840.- DM und werde am 21.12.1998 gebucht werden.

Dagegen legten die Kläger am 24.11.1998 Widerspruch ein. Sie beriefen sich auf Vertrauensschutz bis zur Bekanntgabe des BSG-Urteils, rügten, dass die Kassen keine fristgerechten Anträge gestellt hätten und meinten, das BSG habe nur zur Bema-Nr. 54 b und nicht zur Nr. 54 c entschieden.

Am 04.03.1999 erteilte die Beklagte den Klägern einen mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid. Sie gab an, die Kassen hätten fristgerechte Anträge gestellt. Abgesehen davon sei sie von Amts wegen zur Berichtigung verpflichtet. Das BSG habe sich zwar nicht mit der Abrechenbarkeit der Bema-Nr. 54 c befasst, jedoch liege insoweit ein vergleichbarer Sachverhalt vor, so dass keine andere Entscheidung zu erwarten sei. Nach der Rechtsprechung des BSG sei § 45 des Zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB X) im Vertragsarztrecht nicht anwendbar. Die Kläger könnten sich nicht auf Vertrauenschutz berufen. Es müsse bei der ausgesprochenen Belastung verbleiben.

In der Sitzung der Widerspruchsstelle für sachlich-rechnerische Berichtigungen vom 15.12.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Soweit sich die Kläger auf Vertrauensschutz entsprechend § 45 SGB X beriefen, stehe die Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 10.05.1995 - 6 RKA 30/94 und 16.09.1998 - 6 R KA 40/98) entgegen. Danach finde § 45 SGB X im Bereich des Vertrags(zahn)arztrechts keine Anwendung. Ob und in welchem Umfang der Abrechnende auf die Richtigkeit der Abrechnung vertraut habe, sei nicht erheblich. Es komme allein darauf an, ob die Abrechnung vertragsgemäß gewesen sei. Dies habe das BSG bezüglich der Mehrfachabrechnung der Bema-Nr. 54 b ausdrücklich verneint; für die Nr. 54 c gelte nichts anderes. Die quartalsmäßigen Honorarzahlungen seien ohnehin gemäß § 2 Abs. 2 Satz 4 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) vorläufig und bedürften daher keines wei...

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