Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterngeld. gemeinsamer Haushalt. Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende. geduldete Übernachtungen eines Aufenthaltsberechtigten bei seiner Familie. fehlendes Wohnrecht. kein rechtmäßiger Haushalt für den Aufenthaltsberechtigten. Verfassungsrecht. Schutz der Familie. rechtliche Ermöglichung der Familienzusammenführung in einem gemeinsamen Haushalt ausreichend. faktische Unmöglichkeit mangels freien Wohnraums unerheblich

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Elterngeld setzt voraus, dass der Elternteil mit seinem Kind in einem Haushalt lebt. Der gemeinsame Haushalt iSd § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG setzt voraus, dass er rechtmäßig begründet wurde.

 

Orientierungssatz

Den Vorgaben des Art 6 GG wird bereits dann Genüge getan, wenn die Ehefrau und das gemeinsame Kind von der Verpflichtung zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft (hier: Asylbewerberheim) entbunden worden sind und damit rechtlich eine Familienzusammenführung in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Ehemann außerhalb der Unterkunft möglich geworden ist. Macht allerdings das Fehlen von Wohnraum die Begründung eines gemeinsamen Haushalts außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft faktisch unmöglich, führt dies noch nicht dazu, dass Elterngeld ohne gemeinsamen Haushalt zu gewähren ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 09.05.2017; Aktenzeichen B 10 EG 23/16 B)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.02.2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Elterngeld für den 2012 geborenen S. hat, weil er mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt lebte.

Der Kläger ist irakischer Staatsbürger und lebt seit 14.11.2000 in der Bundesrepublik Deutschland. Er hat eine Arbeitserlaubnis und arbeitet aufgrund eines regulären Arbeitsverhältnisses. Nach der beiliegenden Verdienstbescheinigung verdiente er im Bemessungszeitraum von Juni 2011 bis Mai 2012 zwischen 751,95 € und 1396,00 € monatlich. Er ist in A-Stadt gemeldet. Seine Ehefrau lebt seit 1.8.2011 in Deutschland. Sie hat eine Duldung, eine Erwerbstätigkeit ist nicht gestattet. Mit Bescheid vom 2.10.2012 lehnte der Beklagte die Gewährung von Elterngeld ab, da der Kläger mit nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein; er lebe sehr wohl in einem gemeinsamen Haushalt. Die Ehefrau und alle Kinder würden in einer staatlichen Asylbewerberunterkunft leben, in der auch eine Wohnungsverpflichtung für die Kinder und ihre Mutter bestehe. Jedoch schlafe und esse auch der Kläger in der Asylbewerberunterkunft. Die A-Straße habe er lediglich als Meldeadresse.

Mit Bescheid vom 27.9.2012 wurden die Ehefrau des Klägers und die 4 Kinder von der Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber zu wohnen, befreit. Der Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft erfolge zur Familienzusammenführung. Nach der telefonischen Auskunft vom 29.10.2012 konnte die Ehefrau weiter in der Asylbewerber Unterkunft wohnen bleiben, bis eine geeignete Wohnung gefunden werde. Aus einer weiteren Telefonauskunft vom 8.11.2012 mit einer Mitarbeiterin der D. ergibt sich, dass der Kläger in der Gemeinschaftsunterkunft seine Familie zwar täglich besuchen könne, Übernachtungen jedoch nicht erlaubt seien. Eine Überwachung sei jedoch sehr schwierig, auch Sanktionen seien nicht vorgesehen. Es sei deshalb gut möglich, dass der Kläger bei seiner Familie schlafe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.3.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Mutter des Kindes lebe in einer Gemeinschaftsunterkunft, auch nach Aufhebung der Verpflichtung am 27.9.2012. Dem Kläger sei es nicht erlaubt, in der Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Durch einen Verstoß gegen dieses Verbot könne kein gemeinsamer Haushalt gegründet werden. Dies sei aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage. Sie führte aus, die Familie sei als wohnungssuchend in der Stadt A. gemeldet, allerdings sei es bisher nicht möglich gewesen, eine Sozialwohnung zu vermitteln. Seit der Geburt des Kindes lebe der Kläger tatsächlich mit der Familie in der Gemeinschaftsunterkunft. Es komme auf den tatsächlichen Hausstand an. Mit Urteil vom 11.2.2014 gab das SG der Klage statt. Die Tatsache, dass der Kläger rechtlich nicht befugt sei, in der Gemeinschaftsunterkunft zu übernachten, schließe das örtliche Kriterium der häuslichen Gemeinschaft nicht aus. Ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger offensichtlich sanktionslos dauerhaft in der Unterkunft bei seiner Familie schlafe, verhindere diese rechtliche Beschränkung nicht, dass der Kläger örtlich mit seinem Kind zusammenlebe und eine häusliche Gemeinschaft bilde. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass der Kläger ein tägliches Besuchsrecht habe. Weiter habe der Rest der Familie seit 27.9.2012 die Berechtigung, auch außerhalb der A...

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