Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Territorialitätsprinzip. Wohnortstaat. Schweiz. echter Grenzgänger. aufgeschobene schweizerische Leistung
Leitsatz (amtlich)
Ein Grenzgänger mit Anschluss an das System zur sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit seines Wohnortstaates (hier: Schweiz), hat auch dann keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach deutschem Recht, wenn ihm im Wohnortstaat auf der Grundlage der dort geltenden nationalen Regelungen lediglich für einen vorübergehenden Zeitraum keine laufenden Leistungen gezahlt werden.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.12.2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg).
Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und wohnt in N-Stadt (bei B-Stadt; Schweiz). Sie meldete sich am 18.12.2013 bei der Dienststelle der Beklagten in L-Stadt arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg. Das Arbeitsverhältnis mit ihrem Arbeitgeber sei durch einen Aufhebungsvertrag vom 25.08.2013 zum 31.12.2013 beendet worden. Ihr Ehemann habe im Juli 2012 eine Tätigkeit in der Schweiz aufgenommen und der Familienwohnsitz sei dorthin verlegt worden. Seit dieser Zeit habe sie sich bemüht, innerhalb des Konzerns ihres Arbeitgebers in die Schweiz zu wechseln. Dies sei jedoch gescheitert und auch ein Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber sei nicht gelungen. Zuletzt habe sie die hohe zeitliche Belastung jedes Wochenende, die mit dem Pendeln von ihrem Familienwohnsitz in der Schweiz zu ihrem Arbeitsort nach N-Stadt verbunden gewesen sei, dazu bewogen, den Aufhebungsvertrag abschließen, zumal ihr Arbeitgeber zudem betriebsbedingte Reduzierungen des Personals geplant hatte.
Mit Bescheid vom 16.01.2014 lehnte die Beklagte die Zahlung von Alg ab. Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) könnten nur an in Deutschland wohnhafte Personen erbracht werden. Zu Beginn der Arbeitslosigkeit sei die Klägerin bereits in der Schweiz wohnhaft gewesen. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie stehe als Grenzgängerin dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung. Hierauf stellte die Beklagte (im Rahmen eines Aktenvermerkes) fest, dass die Klägerin zwar die Dienststelle in L-Stadt innerhalb einer zumutbaren Pendelzeit (Fahrstrecke 106 km einfach; Fahrzeit: 1 Stunde 11 Minuten) erreichen könne, nicht jedoch potentielle Arbeitgeber im Zuständigkeitsbereich der Dienststelle L-Stadt oder ausbildungsadäquate Maßnahmen der Beklagten, die - unter Beachtung der akademischen Ausbildung der Klägerin - nur in F-Stadt (Fahrstrecke 170 km einfach; Fahrzeit: 1 Stunde 45 Minuten) angeboten würden. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe keinen Wohnsitz mehr in Deutschland und sei daher vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Soweit das Territorialprinzip unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) in engen Grenzen durchbrochen werden könne, erfülle die Klägerin diese Voraussetzungen nicht. Erfasst würden hiervon lediglich Personen, die nach dem Ende ihrer Beschäftigung ihren Wohnsitz ins grenznahe Ausland verlegt hätten. Die Klägerin lebe jedoch bereits seit Juli 2012 in der Schweiz und falle als Grenzgängerin nicht unter diese Rechtsprechung.
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Sie wohne seit Juni 2012 mit ihrem Ehemann in der Schweiz. Ihren vorherigen Wohnsitz in L-Stadt habe sie damals aufgegeben. Für die Dauer ihrer weiteren Beschäftigung - bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses im Dezember 2013 - sei sie an jedem Wochenende von ihrem Wohnsitz in der Schweiz nach N-Stadt gependelt. Nach Auskunft der Schweizer Behörden habe sie wegen der Berücksichtigung der Abfindung bis 04.08.2014 keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (ALE) nach Schweizer Recht. Sie erfülle trotz ihres Auslandswohnsitzes alle Voraussetzungen für den Bezug von Alg nach deutschem Recht. Nachdem sie Arbeitgeber in Baden- Württemberg innerhalb von einer bis eineinhalb Stunden erreichen könne, sei ihr Wohnort als grenznah zu qualifizieren. Zudem dokumentiere sie gegenüber der Beklagten ihre Eigenbemühungen regelmäßig, so dass sie als verfügbar im Sinne des deutschen Rechts anzusehen sei. Erst seit dem 12.09.2014 erhalte sie ALE nach Schweizer Recht.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18.12.2014 abgewiesen. Die Klägerin habe mangels eines gewöhnlichen Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland - ihr Wohnsitz befinde sich seit dem Jahr 2012 in der Schweiz - keinen Anspruch nach dem SGB III. Sie könne sich auch nicht auf die Entscheidung des BVerfG vom 30.12.1999 (1 BvR 809/95) berufen, wonach der Begriff des Wohnsitzes für den Personenkreis derjenigen verfassungskonform auszulegen sei, die grenznah wohnten und den Status eines G...