Leitsatz (amtlich)
Ein Verharmlosen im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB kann auch dann vorliegen, wenn ein Angeklagter sein eigenes Schicksal mit der Verfolgung und Vernichtung der Juden während der NS-Zeit gleichgesetzt hat.
Ob eine Meinungsäußerung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände festzustellen, bei der insbesondere die Art, der Inhalt, die Form und das Umfeld der Äußerung zu berücksichtigen sind, aber auch je nach den Umständen des Einzelfalls die Stimmungslage in der Bevölkerung, die politische Situation und der Zweck und die drohenden Auswirkungen der Äußerung.
Normenkette
StGB § 130 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Fürth (Bayern) (Entscheidung vom 22.02.2023; Aktenzeichen 421 Cs 466 Js 58626/22) |
Tenor
Gründe
I.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der zulässigen Revision (§§ 333, 335, 341 Abs. 1, 344 Abs. 1, 345 Abs. 1, Abs. 2 StPO), hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird auf die vollumfänglich zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 29.06.2023 Bezug genommen.
1. Bei den Äußerungen der Angeklagten in ihrer Mail vom 13.05.2022 handelt es sich um die Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch bezeichneten Art.
a) Ein Verharmlosen im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB liegt dann vor, wenn eine unter der NS-Herrschaft begangene Tat in tatsächlicher Hinsicht heruntergespielt, beschönigt oder ihr wahres Gewicht verschleiert wird. Alle denkbaren Facetten agitativer Hetze wie auch verbrämter diskriminierender Missachtung sollen erfasst werden (BGH, Urteil vom 06.04.2000, 1 StR 502/99, juris, Rn. 13).
b) Eine derartige, Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlosende Äußerung der Angeklagten hat das Amtsgericht Fürth im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei festgestellt.
Das Gericht hat aus dem Wortlaut von deren Mailnachricht vom 13.05.2022 zu Recht darauf geschlossen, dass die Angeklagte ihr eigenes, vom Amtsgericht im Ergebnis als banal bezeichnetes Schicksal mit der Verfolgung und Vernichtung der Juden während der NS-Zeit gleichgesetzt habe. Sie habe ihre Problematik, dass sie seit mehr als 36 Jahren nicht als Deutsche i.S.v. Art 116 GG anerkannt worden sei, auf eine Stufe mit den an den Juden in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen gestellt. Diese seien "als Deutsche abgeschafft" und "als genetischer Abfall behandelt" worden, es sei "nur das Endprodukt ... anders" gewesen. Mit dieser abgesehen vom "Endprodukt" gleichstellenden Bezugnahme und mit der weiteren Äußerung, dass Hitler und seine Gefolgsleute zwölf Jahre lang die Existenzberechtigung und Gleichrangigkeit der deutschen Juden in Frage gestellt und auf persönliche Unterschiede verwiesen hätten, hat die Angeklagte ihr eigenes Schicksal der Nichtanerkennung mit dem Holocaust qualitativ wie quantitativ gleichgesetzt und hat durch diese Gleichsetzung die Gewalttaten des NS-Regimes gegen die jüdische Bevölkerung abgewertet und bagatellisiert.
2. Die Angeklagte hat dies auch öffentlich (§ 130 Abs. 3 StGB) getan, da sie ihre Mail an einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten und durch eine nähere Beziehung nicht verbundenen Personenkreis (Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 130 Rn. 22 unter Verweis auf § 186 Rn. 19 mit zahlreichen Nachweisen), nämlich an das Bundesverfassungsgericht sowie an Behörden und mehrere Pressestellen (Bildzeitung und Deutsche Presse-Agentur) schickte.
3. Das Amtsgericht Fürth hat im Anschluss daran frei von Rechtsfehlern die Eignung der Äußerung bejaht, den öffentlichen Frieden zu stören.
a) Hierfür genügt eine nach Sinngehalt, Art und Ort oder anderen Umständen konkrete Eignung. Der öffentliche Friede braucht weder gestört noch konkret gefährdet worden zu sein, denn die Tat ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt (BGH, Urteil vom 12.12.2000, 1 StR 184/00, juris, Rn. 48).
Nicht tragfähig ist hierbei ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer "Vergiftung des geistigen Klimas" ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, juris, Rn. 26). Ein legitimes Schutz...