Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldverfahren. Auslandszustellung. Zustellungsvollmacht. Zustellungsbevollmächtigter. Verteidiger mit Zulassung in Österreich. Begründung Rechtsbeschwerde. dienstleistender europäischer Rechtsanwalt. zugelassener europäischer Anwalt. Einvernehmensanwalt. Rechtsbeschwerdebegründung durch sog. Einvernehmensanwalt
Leitsatz (amtlich)
1. Der Wirksamkeit der Zustellung eines gegen einen in Österreich wohnhaften deutschen Betroffenen gerichteten Bußgeldbescheides bzw. eines auf seinen Einspruch hin ergangenen Bußgeldurteils an einen österreichischen dienstleistenden Rechtsanwalt aufgrund rechtsgeschäftlich erteilter Zustellungsvollmacht steht § 31 EuRAG nicht entgegen.
2. Die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil in Bußgeldsachen darf von einem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt nur im Einvernehmen mit einem zur Vertretung oder Verteidigung bei dem zuständigen Gericht befugten sog. Einvernehmensanwalt gem. § 28 Abs. 1 EuRAG begründet werden. Andernfalls erweist sich die Rechtsbeschwerde als unzulässig.
Normenkette
StPO § 345 Abs. 2, § 37 Abs. 1, § 138 Abs. 2, § 145a; ZPO § 183; OWiG § 79 Abs. 3 S. 1; EuRAG § 2 Abs. 1, § 25 Abs. 1, § 27 Abs. 1 S. 1, § 28 Abs. 1-2, § 31 Abs. 1-2; EurStRHUeb Art. 5 Abs. 1, 2c
Tenor
Gründe
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hat gegen den in Österreich wohnhaften deutschen Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h) erlassen und dabei eine Geldbuße von 360 EUR sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dieser Bußgeldbescheid ist am 28.09.2018 an den in Österreich zugelassenen Rechtsanwalt M mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt worden. Mit am 08.10.2018 eingegangenem Schriftsatz hat der Verteidiger gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Er hat im Laufe des Verfahrens eine schriftliche Verteidigervollmacht vom 21.07.2018 vorgelegt, die ihn auch ausdrücklich dazu ermächtigt, Klagen und andere behördliche Schriftstücke entgegenzunehmen. Die Hauptverhandlung am 11.04.2019 fand in Abwesenheit des Betroffenen statt. Das Amtsgericht hat den Betroffen entsprechend dem Bußgeldbescheid schuldig gesprochen und gegen ihn die im Bußgeldbescheid vorgesehenen Rechtsfolgen festgesetzt. Dieses mit Gründen versehene Urteil ist auf richterliche Anordnung vom 29.04.2019 dem Verteidiger am 10.05.2019 mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt worden. Rechtsanwalt M hat darauf mit Schriftsatz vom 16.05.2019, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 10.06.2019, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, wobei die Rechtfertigungsschrift allein von Rechtsanwalt M unterzeichnet ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 30.08.2019 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts nach § 349 Abs. 2 StPO kostenpflichtig zu verwerfen. Mit ergänzender Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 23.10.2019 hat diese ihre Auffassung mitgeteilt, dass die von einem in Österreich zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnete Rechtsbeschwerdebegründung nicht formgerecht erfolgt sei und die bisher an den Verteidiger erfolgte Zustellung des Urteils unwirksam sei. Der Verteidiger hat hierzu mit Stellungnahme vom 18.11.2019 erwidert, dass es sich aus seiner Sicht bei dem Erfordernis eines sog. Einvernehmensanwalts um eine reine Formvorschrift handeln würde, der gravierende europarechtliche Bedenken entgegenstünden. Er werde aus Respekt gegenüber der deutschen Rechtsordnung keinen Kollegen aus Deutschland bitten, mit einer "pro forma Unterschrift" das Verfahren zu retten und bitte um eine Sachentscheidung.
Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 29.11.2019 die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts ist als unzulässig ( § 349 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ) zu verwerfen, weil sie nicht formgerecht gem. § 345 Abs. 2 i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG begründet wurde.
1. Die Zustellung des Bußgeldbescheides und des Urteils des Amtsgerichts an den Verteidiger erweist sich als wirksam, ohne dass § 31 EuRAG dem entgegensteht.
a. Der Verteidiger hat hier eine schriftliche Vollmacht vom 21.07.2018 zu den Akten gegeben, die ihn ausdrücklich dazu ermächtigt, Zustellungen entgegenzunehmen. Damit verfügt er (zumindest) über eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 145a Rn. 2a m.w.N.). Dem steht auch nicht entgegen, da...