Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. Verfahrensrüge. Sachrüge. Beweisantrag. Augenschein. Inaugenscheinnahme. Tatort. Bezugnahme. Körperverletzung. gefährlich. Widerstand. tätlich. Vollstreckungsbeamter. Polizei. Polizeibeamter. Axt. Stock. Ausholbewegung. Dienstwaffe. Fesselung. Pfefferspray. Verletzung. Verletzungsabsicht. Drohung. Bedrohung. Gefahr. Anscheinsgefahr. Beweiswürdigung. Überzeugungsbildung. Gesamtwürdigung. Gesamtschau. lückenhaft. wiedersprüchlich. unklar. Erfahrungssatz. Schlussfolgerung. Alternativgeschehen. Sachverhaltsalternative. Nachtatverhalten
Normenkette
StGB §§ 22, 114 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2; StPO § 244 Abs. 3 S. 1, §§ 333, 344 Abs. 2 S. 2, § 349 Abs. 2, 4, § 353 Abs. 2, § 354 Abs. 2 S. 1; BayPAG Art. 11 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2018-05-18, Art. 84 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 2018-05-18
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 06.09.2021 mit den Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben.
II.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
III.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - verurteilte den Angeklagten am 18.11.2019 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in je zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Auf seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten unter Einbeziehung zweier noch nicht vollstreckter Einzelgeldstrafen aus einem seit dem 11.01.2020 rechtskräftigen Strafbefehl vom 27.12.2019 im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt und bestimmt, dass zum Ausgleich der unangemessen langen Verfahrensdauer zwei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf das Strafmaß beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht als unbegründet verworfen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Mit Zuleitungsschrift vom 04.01.2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache im tenorierten Umfang, weil die Beweiswürdigung des angegriffenen Urteils lückenhaft ist; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die erhobene Verfahrensrüge, mit der beanstandet wird, dass das Landgericht dem Beweisantrag auf Inaugenscheinnahme der Tatörtlichkeit nicht nachgegangen ist, verhilft der Revision indes nicht zum Erfolg, weil sie bereits unzulässig ist. Die Rüge entspricht nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Demnach sind die Verfahrenstatsachen so vollständig, genau und aus sich heraus verständlich darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Begründungsschrift prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler gegeben wäre, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st.Rspr., vgl. etwa BGH; Beschl. v. 25.11.2021 - 4 StR 103/21 bei juris; 01.12.2020 - 4 StR 519/19 = NStZ-RR 2021, 116 = Blutalkohol 58 [2021], 159; 29.09.2020 - 5 StR 123/20 = JR 2021, 231 = NStZ 2022, 64; 13.05.2020 - 4 StR 533/19 = medstra 2021, 42 = NStZ 2021, 178 u. 17.07.2019 - 5 StR 195/19 bei juris). Dem wird die Revisionsbegründung aber schon deshalb nicht gerecht, weil in dem Beweisantrag mehrfach auf verschiedene Aktenstellen Bezug genommen wird, die Revision jedoch diese weder vorlegt noch inhaltlich mitteilt (vgl. zu diesem Erfordernis nur BGH, Beschl. v. 25.11.2021 - 4 StR 103/21; 11.05.2021 - 5 StR 110/21; 07.04.2021 - 6 StR 92/21, sämtliche bei juris; 16.02.2021 - 4 StR 517/20 = NStZ 2021, 761; 09.01.2020 - 5 StR 587/19; 03.07.2019 - 4 StR 459/18, jeweils bei juris; 09.04.2019 - 4 StR 38/19 = NStZ 2020, 758 und 02.12.2015 - 4 StR 423/15 bei juris).
2. Allerdings kann die Verurteilung aufgrund der Sachrüge keinen Bestand haben, weil das angefochtene Urteil sachlich-rechtliche Fehler aufweist.
a) Soweit für die Entscheidung des Senats relevant, hat die Berufungskammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am Abend des 24.01.2019 kam es im Anschluss an eine tätliche Auseinandersetzung des Angeklagten mit seiner Ehefrau in deren gemeinsamer Wohnung im zweiten Stock eines Mietshauses zu einem Polizeieinsatz, nachdem die Ehefrau vor dem randalierenden Angeklagten zu ihrem im ersten Stock des Anwesens wohnenden Nachbarn geflüchtet war. Die zunächst aus einer Polizeibeamtin und einem Polizeibeamten bestehende ...