Leitsatz (amtlich)
Der Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit umfaßt die Gesundheitsfürsorge in allen Bereichen der Medizin. Er ist zu weitgehend, wenn eine Betreuung nur im nervenärztlichen Bereich erforderlich ist.
Normenkette
BGB § 1896 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Amberg (Beschluss vom 08.05.1995; Aktenzeichen 33 T 473/95) |
AG Amberg (Aktenzeichen 3 XVII 18/95) |
Tenor
I. Der Beschluß des Landgerichts Amberg vom 8. Mai 1995 wird aufgehoben.
II. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das Landgericht Amberg zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 21.2.1995 für die Betroffene einen Betreuer mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über die Unterbringung bestellt. Die Beschwerde der Betroffenen hiergegen wies das Landgericht mit Beschluß vom 8.5.1995 zurück. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffen.
Entscheidungsgründe
II.
Die weitere Beschwerde ist begründet. Die Entscheidung des Landgerichts kann nicht bestehen bleiben, weil die Feststellungen des Landgerichts die Bestellung eines Betreuers nicht tragen.
1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers lägen vor. Die Betroffene sei aufgrund einer paranoiden Schizophrenie mit phasenhaftem Verlauf, in deren Rahmen es immer wieder zu akuten psychotischen Exacerbationen komme, nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten bezüglich der Sorge für die Gesundheit, der Aufenthaltsbestimmung und der Entscheidung über die Unterbringung selbst zu besorgen. Die Betroffene erlebe ihre Symptome nicht als krankheitswertig, es bestehe bei ihr deshalb keine Krankheitseinsicht. Dies stehe fest aufgrund des vom Amtsgericht erholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. S. vom 6.2.1995, sowie aufgrund der mündlichen Anhörung der Betroffenen durch das Amtsgericht, in der sie immer wieder angegeben habe, sie brauche keinen Betreuer, sie sei nicht krank.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 550 ZPO) nicht stand.
a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen setzt voraus, daß der Betreute aufgrund seiner psychischen Erkrankung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLGZ 1995 Nr. 26). Dies sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung (BayObLGZ 1994, 209/211).
Diese Grundsätze gelten auch für Fälle schubförmig verlaufender psychischer Erkrankungen (BayObLGZ 1994, 387).
Nach § 1896 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer außerdem nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Das Prinzip der Erforderlichkeit durchzieht das gesamte Betreuungsrecht. Soweit die Betreuung oder weitere mit ihr verbundene Anordnungen sich wie hier als Eingriffe in die Freiheitssphäre der Person darstellen, hat der Erforderlichkeitsgrundsatz Verfassungsrang (BT-Drucks, 11/4528 S. 120; vgl. BVerfGE 19, 342/348 f.; 58, 208/225 f.; BVerfG NJW 1994, 1577 LS 2 und S. 1578 f.; MünchKomm/Schwab BGB 3. Auflage § 1896 Rn. 24). Dieser aus dem Rechtsstaatsprinzip sich ergebende Grundsatz (BVerfGE 19, 342/348 f.; vgl. Jarass/Pieroth GG 2. Aufl. Art. 20 Rn. 56) verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete Feststellung, daß sie – auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 58, 208/226) – notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen.
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.
aa) Das Landgericht hat sich zwar mit der Frage befaßt, ob die Betroffene trotz ihrer psychischen Erkrankung noch imstande ist, ihre Angelegenheiten zu besorgen. Den vom Landgericht getroffenen Feststellungen läßt sich jedoch nicht entnehmen, ob und inwieweit die Betroffene ihren Willen frei bestimmen kann.
Das Gutachten vom 6.2.1995 geht auf diese Frage nicht ein, läßt aber Zweifel aufkommen, ob sie bejaht werden kann. Der Sachverständige führt aus, bei der Untersuchung der Betroffenen am 2.2.1995 hätten leichte paranoide Syndrome und eine formale Denkstörung sowie eine Affektstörung bestanden; im Vergleich zum Januar habe sich die Symptomatik jedoch etwas gebessert. Über Leibhalluzinationen, wie bei ihrem ersten Besuch in der Praxis des Sachverständigen am 10.10.1994, habe die Betroffene nicht mehr geklagt; im formalen Denken sei sie nur etwas weitschweifig, aber nicht deutlicher zerfahren.
bb) Dem Bericht der Betreuungsstelle vom 17.1.1995 ist zu entnehmen, daß der Sachverständige im November 1994 die Bestellung eines Betreuers noch nicht für erforderlich hielt.
Den Darlegungen des Gutachtens kann nicht entnommen werden, ...