Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbscheinserteilung. Bestimmung des zuständigen Nachlaßgerichts. Gerichtszuständigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts, wenn auf den Belegenheitsort der Nachlassgegenstände nach § 73 Abs. 3 ZPO abzustellen ist.

 

Normenkette

FGG § 73 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Landshut (Aktenzeichen 5 AR 213/90)

AG Passau (Aktenzeichen 1 VI 439/90)

 

Tenor

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht – Nachlaßgericht – Passau.

 

Tatbestand

I.

Die beiden Erblasserinnen sind in den Jahren 1945 und 1977 an ihrem letzten Wohnsitz in der UdSSR verstorben. Sie waren sowjetische Staatsangehörige. Die Beteiligten sind ihre Tochter und nunmehr als deutsche Aussiedler in die Bundesrepublik gelangt. Sie wohnen in Niederbayern und haben beim Amtsgericht Passau Teilerbscheine beantragt, die sie benötigen, um Ansprüche auf Grund des Häftlingshilfegesetzes geltend zu machen. Das Landratsamt Passau – Ausgleichsamt – hat dem Nachlaßgericht mitgeteilt, es sei zur Bearbeitung des Antrags bis zur Bescheidreife zuständig. Das Amtsgericht – Nachlaßgericht – Passau hat die Akten dem Amtsgericht – Nachlaßgericht – Landshut „zuständigkeitshalber” übersandt mit dem Hinweis, daß dasjenige Nachlaßgericht zuständig sei, in dessen Bezirk die für die Bescheiderteilung zuständige Behörde, nämlich die Regierung von Niederbayern, ihren Sitz habe. Das Amtsgericht – Nachlaßgericht – Landshut hat die Übernahme abgelehnt, weil dasjenige Nachlaßgericht zuständig sei, in dessen Bezirk das zuständige Ausgleichsamt seinen Sitz habe. Das Amtsgericht – Nachlaßgericht – Passau hat daraufhin die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen (§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 199 Abs. 1 und 2 Satz 2 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG). Die beteiligten Amtsgerichte haben ihren Sitz in verschiedenen bayerischen Landgerichtsbezirken, nämlich in Passau und in Landshut (Art. 5 Nrn. 12 und 17 GerOrgG). Daß die Landgerichte ihren Sitz im selben Oberlandesgerichtsbezirk haben (Art. 3 Nr. 2 GerOrgG), begründet in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLGZ 1989, 1/2) nicht die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts.

2. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 5 FGG sind gegeben. Insbesondere erachtete jedes der beiden Amtsgerichte, von denen eines das für die Erteilung des Erbscheins (§§ 2353, 2369 Abs. 1 BGB) zuständige Nachlaßgericht ist (§ 73 Abs. 3 Satz 1 FGG), nicht sich, sondern das andere für örtlich zuständig (BayObLGZ 1984, 289/290; Bassenge/Herbst FGG/RPflG 5. Aufl. § 5 FGG Anm. 1 a, aa).

3. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht – Nachlaßgericht – Passau.

a) Die örtliche Zuständigkeit ist durch Anwendung von § 73 Abs. 3 FGG zu bestimmen; denn die Erblasserinnen waren Ausländer und hatten zur Zeit des Erbfalls in Deutschland weder Wohnsitz noch Aufenthalt, so daß es darauf ankommt, wo sich Nachlaßgegenstände befinden (§ 73 Abs. 3 Satz 1 FGG). Maßgebender Zeitpunkt hierfür ist nicht der Erbfall, sondern der Tag, an dem das Nachlaßgericht mit der Sache befaßt wird (Bassenge/Herbst § 73 FGG Anm. 3 a). Das war hier der Tag, an dem der Erbscheinsantrag eingegangen ist (OLG Hamm OLGZ 1975, 413).

b) Als Nachlaßgegenstände, die gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 FGG die Zuständigkeit begründen, kommen hier lediglich die Ansprüche in Betracht, welche die Beteiligten als deutsche Volkszugehörige nunmehr geltend machen wollen. Diese Ansprüche können beruhen auf dem Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz) i.d.F. vom 4.2.1987 (BGBl Teil I S. 513). Sie richten sich gegen die Bundesrepublik Deutschland und können als zum Nachlaß gehörend angesehen werden, wenn das Vermögen der Erblasserinnen noch zu ihren Lebzeiten von einem Schaden, den das Häftlingshilfegesetz ausgleichen soll, betroffen worden ist. Insoweit können die Grundsätze gelten, die für Ansprüche aus dem Lastenausgleichsgesetz von der Rechtsprechung herangezogen wurden. Für diese als in der Bundesrepublik Deutschland befindliche Nachlaßgegenstände ist die entsprechende Anwendung des § 73 Abs. 3 FGG bejaht worden (BGHZ 52, 123/146 m.w.Nachw.; BayObLGZ 1974, 460/463). Es kommt deshalb darauf an, an welchem Ort die Nachlaßgegenstände, nämlich Ansprüche aus dem Häftlingshilfegesetz, sich im Sinne des § 73 Abs. 3 Satz 1 FGG befinden.

aa) Die Belegenheit von Forderungen richtet sich allgemein nach dem Wohnsitz des Schuldners (Jansen FGG 2. Aufl. § 73 Rn. 21). Das gilt auch für die Zivilprozeßordnung (§ 23 Satz 2 ZPO) und entspricht in der Regel dem Leistungsort des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das in § 269 Abs. 1 ebenfalls auf den Wohnsitz des Schuldners abstellt. Dieser kann, muß aber nicht dem Ort entsprechen, wo die Forderung eingeklagt werden müßte. Zwar verweist § 73 Abs. 3 Satz...

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