Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. Sachrüge. Schuldspruch. Schuldspruchänderung. Richter. Beleidigung. Nachrede. Äußerung. spontan. herabsetzend. Untreue. ekelig. parteiisch. schikanös. Schandtat. Gesamtzusammenhang. Ehrverletzung. Achtungsanspruch. Verächtlichmachen. Sinngehalt. Erklärungsinhalt. Meinungsfreiheit. Meinungsäußerungsfreiheit. Menschenwürde. Abwägung. Einzelfallabwägung. Tatsache. Tatsachenbehauptung. Wertung. Werturteil. subjektiv. Schmähkritik. Schmähung. Formalbeleidigung. Persönlichkeit. Persönlichkeitskern. Integrität. Kontext. Kritik. Machtkritik. Gerichtskosten. Gerichtskostenvorschuss. Kostenfestsetzung. Kostenfestsetzungsverfahren. Verrechnung. Dienstaufsichtsbeschwerde. Akademiker. Vorbildung. Strafrahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Bezichtigt ein Angeklagter einen Richter, der mit einem Kostenerinnerungsverfahren befasst war, der strafbaren Untreue, weil er nach Auffassung des Angeklagten eine fehlerhafte Entscheidung zu dessen Lasten getroffen habe, stellt dies auch dann keine Behauptung falscher Tatsachen im Sinne des § 186 StGB dar, wenn zusätzlich vorgetragen wird, es gehe um die "Entnahme von Geld aus seinem Guthaben".
2. Eine Schmähkritik ist bei einer Beanstandung eines konkreten dienstlichen Verhaltens im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde auch dann noch nicht anzunehmen, wenn die Entscheidung des Richters als "schikanöse Schandtat" eines "ekelig parteiischen Amtsrichters" bezeichnet wird.
3. In die im Rahmen des § 193 StGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 GG gebotene Abwägung der Meinungsäußerungsfreiheit und des Rechts der persönlichen Ehre sind die konkreten Umstände des Einzelfalls einzustellen. Dabei ist einerseits vor allem der Gesichtspunkt der "Machtkritik" als besonderer Ausfluss der Meinungsäußerungsfreiheit von Bedeutung. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass kein nachvollziehbarer Anlass für die außerordentlich ehrverletzenden Äußerungen bestanden hat, es sich nicht um spontane Entgleisungen im Meinungskampf, sondern um eine schriftlich fixierte und deshalb mit größerem Bedacht erstellte Eingabe handelte und der Angeklagte sich nach seinem Bildungsstand auch ohne weiteres anders hätte verhalten können, um sein Anliegen zu verfolgen.
Normenkette
GG Art. 1, 5 Abs. 1; StGB §§ 185-186, 193, 266; StPO §§ 265, 354 Abs. 1, § 473 Abs. 1 S. 1; ZPO § 103; GKG § 22 Abs. 1 S. 1, § 29 Nr. 1, § 31 Abs. 2
Tenor
I.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 24.01.2022 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte der Beleidigung schuldig ist.
Die Liste der angewendeten Vorschriften wird wie folgt berichtigt: §§ 185 Alt. 1, 194 StGB.
II.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten, einen promovierten Mediziner im Ruhestand, am 22.03.2021 wegen übler Nachrede zur Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 24.01.2022 als unbegründet verworfen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, hat das Landgericht das Ersturteil dahingehend abgeändert, dass es die Höhe des Tagessatzes auf 50 Euro festgesetzt hat; die weitergehende Berufung der Staatsanwaltschaft wurde verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die Berufungskammer hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte führte vor dem Amtsgericht einen Zivilrechtsstreit, in dem er als Kläger die Räumung seiner Eigentumswohnung durch den damaligen Mieter geltend machte. Mit Anerkenntnisurteil vom 22.07.2019 verpflichtete das Amtsgericht den Beklagten, die Wohnung des Angeklagten zu räumen und an den Angeklagten herauszugeben, wobei die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auferlegt wurden. Nach Abschluss des Streitverfahrens wurde ein Teilbetrag in Höhe von 203 Euro aus dem vom Angeklagten einbezahlten Gerichtskostenvorschuss auf die Gerichtskosten verrechnet und der Restbetrag an ihn ausbezahlt. Obwohl der Angeklagte in der Folgezeit insgesamt dreimal, unter anderem durch den erkennenden Richter im Rahmen eines Verfahrens über die vom Angeklagten betriebene Kostenerinnerung sowie seitens des Direktors des Amtsgerichts schriftlich darauf hingewiesen worden war, dass er den verrechneten Betrag nicht zurückerhalten könne, sondern sich wegen Erstattung an den unterlegenen Beklagten im Rahmen eines von ihm anzustrengenden Kostenfestsetzungsverfahrens gemäß den §§ 103 ff. ZPO halten müsse, erhob der Angeklagte mit am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 06.10.2020, dem Anlagen beigefügt wurden, gegen den mit der vom Angeklagten angestrengten Kostenerinnerung befasst gewesenen Richter Dienstaufsichtsbeschwerde zum Präsidenten des Landgerichts "wegen Entnahme von Geld aus einem Guthaben von mir (monatelang (!) ohne mich zu benachrichtigen!!?), um - ohne Not - die Schuld eines Dritten (!!?) zu begleichen!!...