Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer letztwilligen Verfügung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Anfechtungsberechtigung des Erblassers fehlt, wenn die pflichtteilsberechtigte zweite Ehefrau des Erblassers zur Zeit der Anfechtung bereits vorverstorben war.

2. Voraussetzung einer ergänzenden Testamentsauslegung ist, daß sich für die behauptete Willensrichtung der Ehegatten ein auch noch so geringer Anhaltspunkt oder ein noch so unvollkommener Ausdruck aus dem Testament selbst ergibt.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 2069, 2078-2079

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 21.07.1989; Aktenzeichen 16 T 4942/89)

AG München (Aktenzeichen 91 VI 3043/88)

 

Tenor

I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts München I vom 21. Juli 1989 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 1 hat die den Beteiligten zu 2 bis 5 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 450.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

1988 verstarb der verwitwete Erblasser im Alter von 94 Jahren. Aus seinen beiden Ehen sind keine Kinder hervorgegangen. Seine erste, … 1950 verstorbene Ehefrau hatte eine aus ihrer ersten Ehe stammende, … 1925 geborene Tochter. Diese ist … 1970 verstorben und wurde von ihren in den Jahren 1948, 1950, 1956 und 1964 geborenen Kindern, den in den U.S.A. lebenden Beteiligten zu 2 bis 5, beerbt. Die zweite Ehefrau des Erblassers ist … 1978 verstorben. Die Beteiligte zu 1 war eine Nachbarin des Erblassers.

Zusammen mit seiner ersten Ehefrau hatte der Erblasser am 8.9.1943 ein notariell beurkundetes „Gemeinsames Testament” errichtet, das auszugsweise wie folgt lautet:

I.

Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen und ausschliesslichen Erben unseres seinerzeitigen Nachlasses ein, mit der Bestimmung, daß nach dem Tode des Länger lebenden von uns beiden der beiderseitige Nachlaß an die ersteheliche Tochter der Frau, nämlich Fräulein K., geboren … 1925, … allein oder wenn, was zur Zeit nicht der Fall ist, gemeinschaftliche Abkömmlinge aus unserer Ehe vorhanden wären, an die vorgenannte K. und unsere gemeinschaftlichen Abkömmlinge zusammen nach gleichen Stammteilen als Erben des Zuletztversterbenden fallen soll.

II.

III.

IV.

V.

Wenn wir in einer gemeinsamen Gefahr umkommen und in diesem Falle die obengenannte K. uns überleben würde, soll diese die alleinige und ausschließliche Erbin unseres beiderseitigen Nachlasses werden und zwar allein oder – wenn auch gemeinschaftliche Abkömmlinge uns überleben würden – zusammen mit diesen gemeinschaftlichen Abkömmlingen nach gleichen Stammteilen.

Ein weiteres notarielles Testament errichtete der Erblasser am 16.2.1988, als er sich im Krankenhaus befand. In diesem ist folgendes ausgeführt:

I.

Allgemeines

1) …

2) …

3) …

4) …

5) Ich bin in der Verfügung über mein Vermögen, soweit nachstehend darüber verfügt wird, nicht gebunden.

Ich habe bis jetzt kein Testament und keinen Erbvertrag errichtet. Ich erkläre, daß ich zwar mit meiner ersten Ehefrau ein Testament errichtet habe, daß ich aber von meiner unbeschränkten Testierfähigkeit ausgehe, ebenso, daß dies auch von meiner ersten Ehefrau nicht anders gewollt war.

II.

Verfügungen

1) Alle etwa bestehenden letztwilligen Verfügungen hebe ich hiermit auf.

2) Zu meiner alleinigen Erbin setze ich ein Frau M. (= Beteiligte zu 1).

3) Sollte Frau M. bereits vor mir verstorben sein, so sollen deren Ehemann und ihr Sohn aus erster Ehe … zu gleichen Teilen die Ersatzerben sein.

4) Die Erbeinsetzung von Frau M. erfolgt, weil sie seit dem Tode meiner Ehefrau vor zehn Jahren meinen Haushalt führt.

Zu notarieller Urkunde vom 9.3.1988 erklärte der Erblasser, er habe am 8.9.1943 ein gemeinschaftliches Testament mit seiner ersten Ehefrau errichtet, in dem seine Stieftochter als Schlußerbin des letztversterbenden Ehegatten eingesetzt sei. Diese sei inzwischen verstorben und habe vier Abkömmlinge hinterlassen (Nr. I). Sodann ist (unter Nr. II) folgendes ausgeführt:

Für den Fall, daß durch Auslegung jenes Testaments URNr. 206/43, angenommen wird, daß eine stillschweigende Einsetzung der Kinder der Frau K. getroffen wurde, und daß diese stillschweigende Einsetzung ebenfalls im Verhältnis zu den Verfügungen meiner Ehefrau eine „wechselbezügliche” und damit bindende Verfügung durch mich ist, fechte ich das genannte Testament hinsichtlich dieser Verfügung an. Ich verbinde damit die Feststellung, daß jeder von uns Ehegatten … alle übrigen Verfügungen des genannten Testaments in gleicher Weise errichtet hätte.

Die Anfechtung begründe ich mit folgendem:

  1. Eine solche stillschweigende Einsetzung habe ich nicht gewollt. Sollte durch Auslegung unterstellt werden, daß sie gewollt war, so habe ich sie jedenfalls nicht als bindende (wechselbezügliche) Verfügung gewollt. Ich bin darüber auch nicht belehrt worden.
  2. Soweit es um eine stillschweigende Erbeinsetzung der Stiefenkel geht, begründe ich die Anfechtung außerdem auf die spätere tatsächliche Lage, die bei Errichtung des Testaments s...

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