Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnsitz

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Aufhebung des Wohnsitzes gemäß § 7 Abs. 3 BGB ist eine geschäftsähnliche Handlung. Es bedarf dazu der Absicht, die bisherige tatsächliche Niederlassung aufzugeben. Sie muss nach außen hervortreten und jedenfalls für einen mit den Gegebenheiten vertrauten Beobachter erkennbar sein. Die polizeiliche Abmeldung am bisherigen und die Anmeldung an einem anderen Ort sind für die Aufhebung eines Wohnsitzes weder erforderlich noch ausreichend. Sie können allerdings ein Beweisanzeichen hierfür sein. Der Aufhebungswille bedarf keiner ausdrücklichen Erklärung, sondern kann sich aus den Umständen ergeben. Hierbei ist das gesamte Verhalten des bisherigen Inhabers zu würdigen.

 

Normenkette

BGB § 7 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen 65 VI 15485/93)

 

Tenor

Als örtlich zuständig wird das Amtsgericht München bestimmt.

 

Tatbestand

I.

Der in Wangen im Allgäu verstorbene Erblasser war mit der Beteiligten zu 1 verheiratet. Aus dieser Ehe ist der Beteiligte zu 2 hervorgegangen. Außerdem hinterläßt der Erblasser zwei Söhne aus erster Ehe (Beteiligte zu 4 und 5).

Der Erblasser hatte mit den Beteiligten zu 1 und 2 in der Ehewohnung in München zusammengelebt, wo er bis zu seinem Tod polizeilich gemeldet war. Am 31.8.1993 hatte er beim Familiengericht München Antrag auf Ehescheidung gestellt, dem die Beteiligte zu 1 entgegengetreten war. Der Erblasser hatte vorgetragen, er sei im August 1992 aus der Ehewohnung ausgezogen und mit der Beteiligten zu 3 eine neue Beziehung eingegangen. Gemeinsam mit ihr hatte er am 31.5.1992 einen 5-Jahres-Mietvertrag für eine 3-Zimmer-Wohnung in Wangen im Allgäu geschlossen.

Außerdem hatte er in der Nähe seiner Ehewohnung in München ab 15.7.1992 ein Ein-Zimmer-Appartement für zwei Jahre gemietet, das er nach Krankenhaus- und Kuraufenthalten Anfang des Jahres 1993 bezogen hatte. Seit Anfang Februar 1993 bis zu seinem letzten Klinikaufenthalt im Juni 1993 war er von dort aus während der Arbeitswoche seiner Berufstätigkeit in München nachgegangen, außerdem hatte er dort sein Umgangsrecht mit dem Beteiligten zu 2 (zweimal wöchentlich und gelegentlich an Wochenenden) ausgeübt. Im übrigen hatte er sich im wesentlichen bei der Beteiligten zu 3 in Wangen im Allgäu aufgehalten.

Am 2.11.1993 hat das Notariat Wangen im Allgäu II – Nachlaßgericht – ein dort verwahrtes notarielles Testament des Erblassers eröffnet und sodann an das Nachlaßgericht München übersandt.

Das Nachlaßgericht München hat weitere letztwillige Verfügungen des Erblassers eröffnet sowie Erbscheinsanträge und Erklärungen der Beteiligten entgegengenommen. Mit Beschluß vom 30.5.1994 hat das Nachlaßgericht München das Verfahren an das Nachlaßgericht Wangen im Allgäu abgegeben. Es hält nicht sich, sondern dieses für örtlich zuständig, da der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen Wohnsitz nicht in München, sondern in Wangen im Allgäu gehabt habe.

Das Notariat Wangen im Allgäu hat durch Beschluß vom 24.8.1994 die Übernahme des Verfahrens „wegen örtlicher Unzuständigkeit” abgelehnt mit der Begründung, der Erblasser habe sowohl in München als auch in Wangen im Allgäu eine Wohnung bewohnt. Die meiste Zeit habe er jedoch in München verbracht, wo er auch gearbeitet habe. Eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt in Wangen im Allgäu habe ergeben, daß der Erblasser dort nicht gemeldet gewesen sei.

Das Nachlaßgericht München hält weiterhin das Nachlaßgericht Wangen im Allgäu für zuständig und hat die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Nachlaßgerichts vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen, da gemeinschaftliches oberes Gericht für die am Streit beteiligten Gerichte der Bundesgerichtshof ist und das zuerst mit der Sache befaßte Gericht im Freistaat Bayern liegt (§ 5 Abs.1 Satz 1, § 199 Abs.1 und 2 Satz 2 FGG, Art. 11 Abs.3 Nr. 1 AGGVG; BayObLGZ 1989, 39/49; vgl. Bassenge/Herbst FGG/RPflG 6. Aufl. § 199 FGG Anm. 2c bb). Zuerst mit der Sache befaßt war hier das Nachlaßgericht München, das die verfahrenseinleitenden Erbscheinsanträge (§ 2353 BGB) entgegengenommen hat (vgl. BayObLGZ 1983, 26/27; Senatsbeschluß vom 29.7.1993 – 1Z AR 20/93). Daran ändert auch nichts, daß das Notariat Wangen im Allgäu zuvor ein Testament des Erblassers eröffnet hatte. Durch die ihm als Verwahrungsgericht obliegende Testamentseröffnung (§ 2261 Satz 1 BGB; vgl. Palandt/Edenhofer BGB 53.Aufl. § 2261 Rn.1) ist es mit dem vorliegenden Erbscheinserteilungsverfahren nicht befaßt worden im Sinn von § 5 Abs.1 Satz 1 FGG (vgl. Bassenge/Herbst § 5 FGG Anm.2 b).

2. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 5 Abs.1 FGG sind gegeben (vgl. BayObLGZ 1991, 6/7).

3. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht – Nachlaßgericht – München.

a) Für die dem Nachlaßgericht obliegende Erbscheinserteilung (§ 2353 BGB, § 72 FGG) ist in erster Linie das Amtsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Erblasse...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge