Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlaß. Erbscheinserteilung. Festsetzung des Geschäftswertss. Kostenrecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren richtet sich gemäß § 131 Abs. 2 KostO in allen Fällen nach § 30 KostO. In vermögensrechtlichen Angelegenheiten, zu denen Nachlaßsachen gehören, ist der Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß § 30 Abs. 1 KostO nach freiem Ermessen und nur dann gemäß § 30 Abs. 2 KostO nach dem Regelwert zu bestimmen, wenn es an tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Schätzung fehlt. Maßgebend für die Schätzung sind in erster Linie die gesamte Bedeutung der Beschwerde für den Rechtsmittelführer, insbesondere das mit der Beschwerde verfolgte wirtschaftliche Interesse und außerdem die übrigen Umstände des Einzelfalles.
2. Die für die Geschäftswertfestsetzung im ersten Rechtszug maßgeblichen Vorschriften können als Anhaltspunkte für die freie Schätzung herangezogen werden. Als Anhaltspunkt dient insbesondere der reine Nachlaßwert und zwar der im Zeitpunkt des Erbfalls. Daher sind Vermächtnisse, Auflagen und Pflichtteilsansprüche vom Aktivnachlaß abzuziehen (§ 1967 Abs. 2 BGB).
Normenkette
KostO §§ 30, 131 Abs. 2
Verfahrensgang
LG München II (Beschluss vom 10.03.1986; Aktenzeichen 6 T 1795/85) |
AG Freising (Aktenzeichen VI 326/84) |
Tenor
Der Beschluß des Landgerichts München II vom 10. März 1986 wird dahin abgeändert, daß der Geschäftswert auf 235 283 DM festgesetzt wird.
Tatbestand
I.
Der Erblasser ist am 18.7.1984 verstorben. Er hatte fünf Kinder, die Beteiligten zu 1 bis 5. Die Ehe des Erblassers war rechtskräftig geschieden. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus einem landwirtschaftlichen Anwesen in … sowie Ackerland.
Der Beteiligte zu 5 hatte mit dem Erblasser einen Erbverzichtsvertrag geschlossen. Auch die Beteiligte zu 1 hatte zu notarieller Urkunde vom 7.4.1961 und 8.2.1974 für sich und ihre Abkömmlinge auf alle Erb- und Pflichtteilsansprüche gegenüber dem Erblasser verzichtet. Der Verzicht vom 8.2.1974 wurde durch notarielle Nachtragsurkunde vom 30.7.1982 aufgehoben.
Durch notarielles Testament vom 27.7.1982 setzte der Erblasser die Beteiligte zu 1 zu seiner Alleinerbin ein.
Mit Beschluß vom 10.3.1986 hat das Landgericht den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens 6 T 1795/85 auf 470 567 DM festgesetzt. Verfahrensgegenstand war die Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Amtsgerichts Freising – Nachlaßgericht – vom 14.2.1985, durch den der Antrag der Beteiligten zu 2 zurückgewiesen wurde, ihr einen Erbschein als Miterbin zu einem Drittel aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu erteilen. Mit ihrer Beschwerde vom 3.7.1986 beantragt die Beteiligte zu 2, den Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren auf 330 188 DM festzusetzen, weil sie die für den Grundbesitz angenommenen Werte für zu hoch hält.
Entscheidungsgründe
II.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 3 KostO, § 567 Abs. 2 ZPO.
a) Gegen die Wertfestsetzung, die das Landgericht für das Beschwerdeverfahren vornimmt, findet gemäß § 31 Abs. 3 KostO die unbefristete Erstbeschwerde statt (h.M.: BayObLGZ 1956, 88/91; 1976, 223/227 und ständige Rechtsprechung vgl. BayObLG JurBüro 1981 9, 907 und 1559; 1982, 1387; OLG Köln NJW 1973, 765; OLG Karlsruhe Justiz 1976, 301; SchlHOLG SchlHA 1968, 219; KG Rpfleger 1978, 445; OLG Zweibrücken JurBüro 1986, 1691; Göttlich/Mümmler Kostenordnung 8. Aufl. Stichwort „Beschwerden” Anm. 4.3; Lappe NJW 1983, 1467/1472; Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann KostO 10. Aufl. § 31 RdNr. 62; Keidel/Kuntze/Winkler FGG 11. Aufl. § 19 RdNr. 17). Die andere Auffassung, nach der die weitere und zulassungsbedürftige Beschwerde statthaft sei (OLG Frankfurt JurBüro 1977, 1121; OLG Stuttgart JurBüro 1982, 1384; OLG Hamm JurBüro 1973, 1217; Rohs/Wedewer KostO 2. Aufl. § 31 RdNr. 23), überzeugt nicht. Zwar hat das Landgericht den angefochtenen Beschluß in einem anhängigen Beschwerdeverfahren erlassen. Der Beschluß enthält aber die erstmalige und selbständige Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren. Die in § 31 Abs. 3 Satz 1 KostO für anwendbar erklärte Vorschrift des § 14 Abs. 3 Satz 1 KostO ist so zu verstehen, daß die weitere Beschwerde auf solche Fälle beschränkt ist, in denen das Landgericht über den Geschäftswert befindet, der für das Amtsgericht als erste Instanz festzusetzen war (vgl. BayObLGZ 1984, 34/35), weil § 568 Abs. 3 ZPO in § 14 Abs. 3 Satz 1 KostO nicht angeführt ist und § 31 Abs. 3 Satz 2 KostO eine Sonderregelung für den Fall trifft, daß gegen die erstmalige Festsetzung des Geschäftswerts ein Rechtsmittel eingelegt wird. Im übrigen tritt der Senat der Begründung des 2. Zivilsenats in BayObLGZ 1960, 158 = NJW 1960, 1908 bei.
b) Über die Erstbeschwerde hat das Bayerische Oberste Landesgericht zu befinden. Zwar ist diesem Gericht durch Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG (BayRS 300-1-1-J) nur die Entscheidung über die weiteren Beschwerden in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesen; es hat jedoch in ständiger Rechts...