Leitsatz (amtlich)
1. Eine auf einen konkreten Antrag hin erfolgte - schriftliche - Mitteilung der Justizvollzugsanstalt, sie sei für eine Entscheidung über den an sie gerichteten Antrag nicht zuständig, kann eine anfechtbare Maßnahme im Sinne von § 109 StVollzG darstellen.
2. Der Begriff der Maßnahme in § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ist unter Beachtung von Art. 19 Abs. 4 GG zu interpretieren und weit auszulegen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justizvollzugsanstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG darstellt, kommt es darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt. Vom Maßnahmenbegriff umfasst wird nicht nur ein Verwaltungsakt, sondern jegliches vollzugsbehördliche Handeln, das im Einzelfall auf die Gestaltung von Lebensverhältnissen mit zumindest auch rechtlicher Wirkung gerichtet ist. Mangels Regelung nicht anfechtbar sind demgegenüber bloße Meinungsäußerungen, allgemeine Mitteilungen und Auskünfte. Ob eine Mitteilung der Vollzugsanstalt an einen Strafgefangenen eine allgemeine Auskunft darstellt oder ob ihr ein Regelungscharakter zukommt, indem sie etwa ein subjektives Recht des Gefangenen - hier auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung - verbindlich ablehnt, beurteilt sich nach dem Empfängerhorizont. Ob der Bedienstete befugt war, die Entscheidung zu treffen, ist für deren Anfechtbarkeit hingegen ohne Bedeutung, sondern betrifft alleine die Frage der Rechtmäßigkeit der Entscheidung.
3. Die Entscheidung über eine erstrebte Verlegung in eine Einrichtung des offenen Vollzugs nach Art. 12 Abs. 1 BayStVollzG obliegt der Justizvollzugsanstalt, in der sich der Strafgefangene zum Strafvollzug befindet.
4. Verantwortlich für die Verlegung aus dem geschlossenen in den offenen Vollzug ist der Leiter der abgebenden Anstalt.
5. Der Vollzugsbehörde ist bei der Prüfung der Eignung eines Gefangenen für den offenen Vollzug ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Der Gefangene hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.
6. Den Gefangenen trifft bezüglich des Antrags auf Zulassung zum offenen Vollzug keine Darlegungspflicht. Vielmehr obliegt es der Vollzugsanstalt, auf einen Antrag des Gefangenen hin eine an der Person des Gefangenen orientierte Abwägung aller für die Beurteilung der Eignung sowie der Flucht- und Missbrauchsgefahr relevanten Umstände vorzunehmen und dabei auf die Persönlichkeit, die biografische, deliktische und vollzugliche Entwicklung sowie auf die Anlassverurteilung einzugehen.
Normenkette
StVollzG § 109; BayStVollzG Art. 12 Abs. 1; StVollzG § 10
Verfahrensgang
LG Traunstein (Entscheidung vom 18.06.2024; Aktenzeichen StVK 483/24) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers werden
- der Bescheid der Justizvollzugsanstalt B. vom 14. Februar 2024,
- der Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 18. Juni 2024, soweit der Antrag auf Aufhebung des Bescheids vom 14. Februar 2024 und der hilfsweise gestellte Antrag auf Neubescheidung zurückgewiesen worden sind, nebst Kostenentscheidung,
aufgehoben.
2. Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, den Antrag des Beschwerdeführers auf Verlegung in den offenen Vollzug unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
3. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
4. Die Gerichtsgebühr wird in beiden Instanzen jeweils um die Hälfte ermäßigt. Die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers in beiden Instanzen tragen die Staatskasse und der Beschwerdeführer jeweils zur Hälfte.
5. Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 1.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer verbüßt eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bernau. Mit Schreiben vom 12. Februar 2024 hat er bei der JVA B. beantragt, in den offenen Vollzug der JVA R. oder der JVA München verlegt zu werden. Daraufhin hat die JVA B. dem Antragsteller mit Schreiben vom 14. Februar 2024 mitgeteilt, dass über die Unterbringung im offenen Vollzug nicht die JVA B. entscheiden würde. Zudem seien dem Antrag keine ausreichenden Gründe für eine Unterbringung im offenen Vollzug zu entnehmen.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 25. Februar 2024 hat der Gefangene beim Landgericht Traunstein beantragt,den die Verlegung ablehnenden Bescheid der JVA B. aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn antragsgemäß in den offenen Vollzug zu verlegen,hilfsweise über seinen Antrag neu zu entscheiden. Das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung an Art. 10 BayStVollzG gemessen und mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Gefangenen, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die nach Art. 208 BayStVollzG, §§ 116, 118 StVollzG zulässige Rechtsbeschwerde ist weitestgehend begründet. Der angefochtene Beschluss der Strafv...