Leitsatz (amtlich)
›1. Fotografien einer Radarüberwachungsanlage, die nicht nur Fahrer und/oder Kraftfahrzeug fotografisch festhalten sondern zugleich auch die gemessene Geschwindigkeit abbilden, sind technische Aufzeichnungen.
2. Soweit eine technische Aufzeichnung Zeichen und Ziffern enthält, deren Sinngehalt sich aus sich selbst heraus nicht erschließt, ist sie nicht im Wege des Urkundenbeweises, sondern durch Augenschein in die Hauptverhandlung einzuführen.‹
Tatbestand
Der Betroffene überschritt am 27.4.2001 um 12.38 Uhr in M. auf der U-straße stadteinwärts fahrend aus Unachtsamkeit die höchstzulässige Geschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 33 km/h. Das Amtsgericht hat ihn wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft zu einer Geldbuße von 200 DM verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.
Seine Rechtsbeschwerde war unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen tragen rechtsfehlerfrei den Schuldspruch sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht.
Die Rechtsbeschwerde sieht eine rechtsfehlerhafte Verfahrensweise dar in, dass das Amtsgericht das anlässlich der Geschwindigkeitskontrolle mittels Radarmessung angefertigte Lichtbild, das auch das Messergebnis festgehalten hat, lediglich in Augenschein genommen, jedoch nicht durch Verlesung in die Hauptverhandlung ordnungsgemäß eingeführt habe. Der Tatrichter hätte deshalb seine Überzeugungsbildung nicht darauf stützen dürfen.
Die Rüge der Verletzung des § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG greift nicht durch. Zutreffend hat das Amtsgericht das Lichtbild mit der abfotografierten Geschwindigkeitsangabe als Augenscheinsobjekt durch Besichtigung in die Hauptverhandlung eingeführt und daraus rechtsfehlerfrei die Überzeugung gewonnen, dass der Betroffene mit einer Fahrgeschwindigkeit von 86 km/h gemessen wurde und er daher unter Abzug einer Messtoleranz von 3 km/h mindestens 83 km/h gefahren ist.
Für die Feststellung von Tatsachen, welche die Voraussetzungen des ordnungswidrigen Verhaltens begründen (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld) oder für die Verhängung der Rechtsfolgen relevant sind, ist unter Einhaltung strenger Förmlichkeit der Beweiserhebung ein bestimmtes Beweisverfahren vorgesehen. Neben den Aussagen des Beschuldigten und der Mitbeschuldigten dürfen in diesem sog. Strengbeweisverfahren nur die gesetzlichen Beweismittel - Zeugen, Sachverständige, Urkunden und Augenschein - verwendet werden. Zur Gewährleistung der Justizförmigkeit der Beweisaufnahme zwingt dieser Katalog zur exakten Zuordnung zu einem der genannten Beweismittel und legt damit bindend fest, in welcher Weise der Beweis in der Hauptverhandlung zu erheben ist. Vorliegend geht es um die Abgrenzung von Urkunden- und Augenscheinsbeweis.
Während der Inhalt von Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird, d.h. durch unmittelbares Umsetzen von Schrift- und Zahlenzeichen in Worte (bzw. in Gedanken in der Ersatzform des Selbstlesens nach § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO) erfolgt der Augenschein durch sinnliche Wahrnehmung (Sehen, Hören, Schmecken Riechen oder Befühlen; BGHSt 18, 51/53). Als Urkunden im Sinn der StPO gelten alle Schriftträger mit einem allgemein verständlichen oder durch Auslegung zu ermittelnden Gedankeninhalt (z.B. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45.Aufl. § 249 Rn.3). Durch das Erfordernis des Verlesens kommt zum Ausdruck, dass es nicht auf den optischen Eindruck des Schrift- bzw. Ziffernträgers ankommt (wäre das der Fall, müsste der Schriftträger zum Gegenstand der Inaugenscheinnahme gemacht werden), sondern auf den gedanklichen Inhalt, der den Verfahrensbeteiligten durch Verlesung zur Kenntnis gebracht werden soll (in diesem Sinn F.-W. Krause zum Urkundenbeweis im Strafprozess, 1966, S.114 f.). Zu den einer Verlesung nicht zugänglichen Augenscheinsobjekten zählen insbesondere die bei Geschwindigkeitskontrollen mittels Radarmessung automatisch aufgenommenen Lichtbilder, die lediglich den Fahrer und/oder Pkw abbilden (LR/Dahs StPO, 24.Aufl., § 86 Rn.17; Koffka JR 1966, 389/390; vgl. auch BayObLGSt 1965, 79 = NJW 1965, 2357; OLG Düsseldorf VRS 33, 447; OLG Hamm VRS 44, 117).
In der Hauptverhandlung wurden ausweislich des Sitzungsprotokolls im Anschluss an die Vernehmung des Betroffenen die auf Blatt 8 der Akte befindlichen Lichtbilder in Augenschein genommen. Das oberste der drei Lichtbilder zeigt neben dem abgebildeten Pkw und seinem Fahrer die - links oben im Bild eingeblendete - abfotografierte numerische Anzeige des Radarmessgeräts beginnend links mit einem Winkelzeichen und daran anschließend einer zweifach unterbrochenen Ziffernreihe (86 - 27.04 - 12.38.33). Der "Eingeweihte" weiß, wie auch die Darstellung in den Urteilsgründen belegt, dass die unterbrochene Ziffernreihe zunächst (hier: zweistellig) die gemessene Geschwindigkeit, dann vierstellig den Tag mit Monat und zuletzt sechsstellig Uhrzeit ...