Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldverfahren. Verkehrsordnungswidrigkeit. Rechtsbeschwerde. Fahrverbot. Regelfahrverbot. Sachrüge. Verfahrensrüge. Geschwindigkeitsmessung. Geschwindigkeitsüberschreitung. Zeichen 274. Rohmessdaten. Rohmessdatenspeicherung. Einsicht. Einsichtsrecht. Einsichtsantrag. Akteneinsicht. Einsichtnahme. Aussetzung. Gehör. Gehörsverstoß. Aktenerweiterung. faires Verfahren. fair trial. Aufklärungspflicht. Aufklärungsrüge. Messverfahren. Messdatei. Messgerät. Messfehler. Fehlerquelle. Einzelmesswert. standardisiert. ES3.0. Einseitensensor. Falldatei. Verkehrsfehlergrenze. Toleranzwert. Messtoleranz. Eichung. Eichfrist. Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. PTB. Konformitätsprüfung. Befundkontrolle. Messrichtigkeit. Messbeständigkeit. systemimmanent
Leitsatz (amtlich)
1. Die unterbliebene Überlassung von nicht zu den (Gerichts-) Akten gelangten Unterlagen sowie der (digitalen) Messdaten einschließlich der sog. Rohmessdaten oder der Messreihe stellt für sich genommen weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch einen Verstoß gegen das faire Verfahren dar. Vielmehr handelt es sich bei den entsprechenden Anträgen um Beweisermittlungsanträge, deren Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten gerügt werden kann (Festhaltung an BayObLG, Beschl. v. 09.12.2019 - 202 ObOWi 1955/19 = DAR 2020, 145 ; entgegen insbesondere VerfGH des Saarlandes, Beschl. v. 27.04.2018 - Lv 1/18 = NZV 2018, 275 = DAR 2018, 557 = ZD 2018, 368).
2. Hat sich das Tatgericht aufgrund der Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei und ohne dass sich konkrete Anhaltspunkte für Messfehler ergeben hätten, vom Vorliegen einer Messung im standardisierten Messverfahren überzeugt, kommt eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines - ggf. fortwirkenden - Verstoßes gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren auch dann nicht in Betracht, wenn die Verteidigung die Einsicht in die digitale Messdatei einschließlich der Rohmessdaten schon bei der Verwaltungsbehörde verlangt, sodann einen entsprechenden Antrag erfolglos im Verfahren nach § 62 OWiG gestellt und ihr neuerlicher, in der Hauptverhandlung mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens verbundener Antrag auf Einsichtnahme durch das Tatgericht zurückgewiesen wird (Fortführung von BayObLG, Beschl. v. 09.12.2019 - 202 ObOWi 1955/19 = DAR 2020, 145 ; entgegen insbesondere OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019 - 1 Rb 10 Ss 291/19 = NStZ-RR 2019, 620 = DAR 2019, 582 ).
3. Für die Annahme einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung i.S.v. § 338 Nr. 8 StPO genügt es nicht, dass die Beschränkung nur generell (abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen. Vielmehr muss die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht (st.Rspr.; u.a. Anschluss an vgl. BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500; 23.04.1998 - 4 StR 57/98 = BGHSt 44, 82 = NJW 1998, 2296 = NStZ 1998, 584 = StV 1999, 134 ; 24.11.1999 - 3 StR 390/99 = NStZ 2000, 212 = BGHR StPO § 338 Nr 8 Beschränkung 6 = wistra 2000, 146 = StV 2000, 402 ; Beschl. v. 11.02.2014 - 1 StR 355/13 = NStZ 2014, 347 = BGHR StPO § 338 Nr 8 Akteneinsicht 3 = StV 2015, 10; 03.08. 2016 - 5 StR 289/16 bei juris und BayObLG, Beschl. v. 15.12.1997 - 2St RR 244/97 = BayObLGSt 1997, 165 = NJW 1998, 1655 = OLGSt StPO § 240 Nr 1 ). An einem solchen konkret-kausalen Zusammenhang zwischen der unterbliebenen Zugänglichmachung der (digitalen) Messdaten einschließlich der sog. Romessdaten und dem Sachurteil fehlt es im Anwendungsbereich des standardisierten Messverfahrens.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; GVG § 121 Abs. 2; MessEG § 39; StPO § 244 Abs. 2, §§ 261, 338 Nr. 8, § 344 Abs. 2 S. 2, § 349 Abs. 2; OWiG § 47 Abs. 1, §§ 62, 71 Abs. 1, §§ 77, 77a, 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1, § 80a Abs. 1, 3 S. 1; StVG §§ 24, 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 26 Abs. 1, § 26a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BKat Nr. 11.3.7
Tenor
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat die Betroffene am 14.11.2019 wegen einer als Führerin eines Pkw am 22.04.2019 fahrlässig begangenen Überschreitung der dort durch Zeichen 274 angeordneten, zuvor bereits durch beidseitige Beschilderung wiederholt angekündigten, außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen sie wegen des groben Pflichtenverstoßes nach den §§ 24 , 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. , 26a Abs. 1 Nr. 3 , Abs. 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c zum BKat ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG verbundenes Regelfahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Die Geschwindigkeitsmessung...