Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustellung. Doppelzustellung. Urteil. Abwesenheitsurteil. Verwerfungsurteil. Urteilsverkündung. Einspruchsverwerfung. Bußgeldbescheid. Urteilszustellung. Verteidiger. Wahlverteidiger. Vollmacht. Verteidigervollmacht. Zustellungsvollmacht. schriftlich. rechtsgeschäftlich. Empfang. Empfangsbekenntnis. Postzustellungsurkunde. Legitimation. Rechtsbeschwerde. Zulassungsrechtsbeschwerde. Frist. Fristbeginn. Fristenlauf. Ingangsetzung. Fristablauf. Empfangsberechtigung. Wiedereinsetzung. Auftrag. Beauftragung. Rechtsmitteleinlegung. Verschulden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Zustellung einer Entscheidung an einen Verteidiger ist auch dann wirksam, wenn zwar keine schriftliche Vollmacht zu den Akten gelangt ist, er aber das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat, auf das die Bestätigung des Verteidigers aufgedruckt war, dass er "zur Empfangnahme legitimiert" ist.

2. Zwar ist im Falle einer sog. Doppelzustellung sowohl an den Betroffenen als auch an den Verteidiger eines in Abwesenheit verkündeten Urteils für den Beginn der Frist zur Anbringung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 341 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nach § 37 Abs. 2 StPO grundsätzlich die zuletzt bewirkte Zustellung maßgeblich. Dies gilt aber dann nicht, wenn die zweite Zustellung erst zu einem Zeitpunkt ausgeführt wird, als die durch die erste Zustellung in Lauf gesetzte Frist bereits abgelaufen war, weil durch die Zustellung an einen weiteren Empfangsberechtigten nicht eine neue Frist eröffnet wird.

3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels setzt voraus, dass der Betroffene seinen Verteidiger rechtzeitig, d.h. vor Ablauf der Rechtsmittelfrist mit der Einlegung des Rechtsmittels beauftragt hat.

 

Normenkette

StPO § 37 Abs. 2, § 45 Abs. 2 S. 3, § 145a Abs. 1, 3, § 341 Abs. 1-2, § 349 Abs. 1, § 473 Abs. 1 S. 1; OWiG § 46 Abs. 1, § 71 Abs. 1, § 74 Abs. 2, 4, § 79 Abs. 3 S. 1, § 80 Abs. 3 Sätze 1, 3

 

Tenor

  • I.

    Der Antrag des Betroffenen, gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 07.12.2021 die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wird als unzulässig verworfen.

  • II.

    Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht verwarf am 07.12.2021 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt vom 12.07.2021, mit dem gegen den Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein Bußgeld von 35 Euro verhängt worden war. Das Amtsgericht ordnete - entgegen § 145a Abs. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG (vgl. hierzu nur Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 37 Rn. 29) - die Zustellung des Urteils sowohl an den Betroffenen als auch an seinen Wahlverteidiger an. Ausweislich der Postzustellungsurkunde erfolgte die Zustellung an den Betroffenen am 09.12.2021. Das Empfangsbekenntnis, das den Zusatz enthielt, dass er zur Entgegennahme legitimiert sei, unterzeichnete der Verteidiger am 28.12.2021. Mit Schriftsatz vom 28.12.2021 beantragte der Verteidiger die Bewilligung von Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Hauptverhandlung und legte vorsorglich Rechtsbeschwerde ein, deren Zulassung beantragt wurde. Über das Wiedereinsetzungsgesuch wurde mittlerweile rechtskräftig entschieden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuleitungsschrift vom 09.03.2022 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, weil er nicht fristgerecht eingereicht worden sei.

II.

1. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG als unzulässig zu verwerfen, weil er entgegen § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 341 Abs. 1 und 2 StPO nicht innerhalb der Wochenfrist beim Amtsgericht eingereicht wurde.

a) Die Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG begann, nachdem die Verkündung des Urteils in Abwesenheit des Betroffenen erfolgt war, gemäß § 341 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG mit der Zustellung des Urteils an den Betroffenen am 09.12.2021 und lief daher am 16.12.2021 ab mit der Folge, dass der erst am 28.12.2021 eingegangene Zulassungsantrag verspätet ist.

b) Auf die Zustellung des Urteils an den Verteidiger, die ausweislich des Empfangsbekenntnisses erst am 28.12.2021 bewirkt wurde, kommt es für die Fristberechnung nicht an.

aa) Allerdings folgt dies - entgegen der Annahme der Generalstaatsanwaltschaft - nicht bereits daraus, dass der Verteidiger keine Vollmacht zu den Akten gereicht hatte.

(1) Zwar setzt die gesetzliche Zustellungsvollmacht nach der insoweit einschlägigen Bestimmung des § 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG voraus, dass sich eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers bei den Akten befindet, was hier nicht der Fall war.

(2) Da aber auf dem Empfangsbekenntnis, das der Urteilszustellung an den Verteidiger beigefügt war, die Bestätigung des Verteidigers aufgedruckt war,...

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