Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemeinschaftliches Testament

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine wechselbezügliche Verfügung kann der Erblasser nach dem Vorversterben seiner Ehefrau nicht mehr wirksam widerrufen.

 

Normenkette

BGB § 2270 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Beschluss vom 05.12.1991; Aktenzeichen 4 T 1866/91)

AG Lindau (Bodensee) (Aktenzeichen VI 511/90)

 

Tenor

I. Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 5. Dezember 1991 aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Der am 19.8.1990 im Alter von 67 Jahren verstorbene Erblasser war dreimal verheiratet. Aus seiner ersten, durch den Tod der Ehefrau am 3.2.1969 aufgelösten Ehe ist der im Jahr 1953 geborene Beteiligte zu 1 hervorgegangen. Aus der zweiten Ehe des Erblassers, die geschieden wurde, stammen der Beteiligte zu 2 (geboren 1973) und der Beteiligte zu 3 (geboren 1974). Mit der Beteiligten zu 4 war der Erblasser seit 1984 in dritter Ehe kinderlos verheiratet.

Der Erblasser und seine erste Ehefrau haben am 29.7.1963 das folgende notarielle Testament errichtet:

„Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Dasjenige, was beim Tod des Letztversterbenden noch vorhanden ist, erhält unser Sohn … (Beteiligter zu 1) als Erbe des Zuletztversterbenden.”

Der Erblasser hat außerdem am 1.7.1990 eine eigenhändig geschriebene und unterzeichnete letztwillige Verfügung errichtet. Sie lautet:

„Mein Testament!

Für den Fall meines Todes setze ich meine Frau … (Beteiligte zu 4) als Alleinerbin ein. Im übrigen ordne ich folgende Vermächtnisse an:

1. Mein Sohn … (Beteiligter zu 1) erhält meinen Anteil am Grundstück …. Er erbt ebenso meine KG-Beteiligung an der Firma ….

2. Meine Söhne … und … (Beteiligte zu 2 und 3) erben das der Firma … gegebene Darlehen zu gleichen Teilen. …”

Der Beteiligte zu 1 hat aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 29.7.1963 einen Erbschein als Alleinerbe beantragt. Die Beteiligte zu 4 hat dieses Testament am 2.10.1990 wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten angefochten und einen Erbscheinsantrag angekündigt, wonach sie aufgrund des Testaments vom 1.7.1990 den Erblasser allein beerbt habe. Die Beteiligten zu 2 und 3 haben sich dem Antrag der Beteiligten zu 4 angeschlossen und gegenüber dem Nachlaßgericht am 29.4.1991 „vorsorglich” die Anfechtung des Testaments vom 29.7.1963 erklärt. Das Nachlaßgericht hat nach Anhörung des Beteiligten zu 1 dessen Erbscheinsantrag mit Beschluß vom 4.7.1991 zurückgewiesen. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist durch Beschluß, des Landgerichts vom 5.12.1991 zurückgewiesen worden. Hiergegen hat der Beteiligte zu 1 weitere Beschwerde eingelegt. Die Beteiligten zu 2 bis 4 treten dem Rechtsmittel entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Das Nachlaßgericht sei zutreffend davon ausgegangen, daß der Erblasser die in dem gemeinschaftlichen Testament vom 29.7.1963 enthaltene Schlußerbeneinsetzung des Beteiligten zu 1 durch das formgerecht errichtete Testament vom 1.7.1990 widerrufen habe. Hieran sei der Erblasser nicht durch eine Einschränkung seiner Testierfreiheit gehindert gewesen, denn die Schlußerbeneinsetzung des Beteiligten zu 1 stelle keine wechselbezügliche Verfügung dar. Insoweit sei zu untersuchen, ob die Einsetzung des Beteiligten zu 1 durch den Erblasser wechselbezüglich sei mit der Erbeinsetzung des Erblassers durch seine erste Ehefrau bzw. mit der Einsetzung des Beteiligten zu 1 durch sie. Das Testament vom 29.7.1963 enthalte hierzu keine ausdrückliche Regelung und sei daher auslegungsbedürftig. Eine Wechselbezüglichkeit sei nur gegeben, soweit die Ehefrau ihren Ehemann zum Alleinerben eingesetzt habe und umgekehrt. Die Einsetzung des Beteiligten zu 1 durch den Erblasser sei jedenfalls nicht wechselbezüglich mit seiner Einsetzung durch seine Mutter, denn es sei davon auszugehen, daß sie ihn einfach deshalb als Schlußerben eingesetzt habe, weil er ihr Sohn sei und nicht deshalb, weil der Erblasser eine gleichlautende Verfügung getroffen habe. Nach Auffassung der Kammer sei aber auch im Verhältnis der Einsetzung des Beteiligten zu 1 durch den Erblasser zu dessen Einsetzung durch seine Ehefrau eine Wechselbezüglichkeit zu verneinen. Entgegen der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 2. Alt. BGB sei nicht davon auszugehen, daß der Erblasser von seiner Ehefrau gerade deshalb zum Vollerben eingesetzt worden sei, weil er seinerseits den gemeinschaftlichen Abkömmling zum Schlußerben bestellt habe. Die Testierenden seien im Jahr 1963 jeweils 40 Jahre alt und damit noch verhältnismäßig jung gewesen. Deshalb könne angenommen werden, daß der Überlebende hinsichtlich der Schlußerbfolge gerade nicht gebunden sein sollte, weil die weitere Entwicklung nicht abzusehen gewesen sei. Gleiches ergebe sich...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge