Leitsatz (amtlich)
1. Die eine Beschwerde und ein Wiedereinsetzungsgesuch verwerfende Entscheidung ist unwirksam (nichtig), wenn es an einer Beschwerdeeinlegung und an einem Wiedereinsetzungsgesuch fehlt.
2. Eine Beschwerde liegt nur dann vor, wenn aus einem Schriftstück die Absicht, eine Entscheidung der Nachprüfung durch die höhere Instanz zu unterstellen, deutlich hervorgeht. In einer Ankündigung, im Falle der – nach Darstellung des Beteiligten noch nicht erfolgten – Zustellung der Entscheidung „mit Sicherheit” Beschwerde einzulegen, liegt grundsätzlich nicht die Beschwerdeeinlegung selbst.
3. Auch eine von vornherein unwirksame Entscheidung kann aber angefochten und zur Klarstellung aufgehoben werden, um den äußeren Schein einer wirksamen Entscheidung zu beseitigen.
Dem steht nicht entgegen, daß Formerfordernisse nicht eingehalten sind, die bei Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung für die weitere Beschwerde zu beachten gewesen wären.
Normenkette
FGG §§ 7, 19, 22 Abs. 1, § 29 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Landshut (Beschluss vom 18.05.1999; Aktenzeichen 60 T 608/99) |
AG Landshut (Aktenzeichen XVI 31/98) |
Tenor
I. Der Beschluß des Landgerichts Landshut vom 18. Mai 1999 wird aufgehoben.
II. Die Akten werden an das Amtsgericht Landshut – Vormundschaftsgericht – zurückgegeben.
Tatbestand
I.
Der Beteiligte zu 1 ist der Vater des 1996 geborenen Beteiligten zu 2. Er hat seine Ehefrau, die Mutter des Beteiligten zu 2, getötet und ist deswegen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Für die Zeit des Vollzugs dieser Strafe ist das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt. Die Personensorge ist der Beteiligten zu 3, einer Schwester der verstorbenen Mutter, übertragen worden. Der Beteiligte zu 2 lebt seither bei der Beteiligten zu 3 und ihrem Ehemann, dem Beteiligten zu 4. Diese wollen das Kind adoptieren; sie haben die Adoption mit notarieller Urkunde vom 29.9.1998 beantragt.
Der Beteiligte zu 1 hat seine Einwilligung verweigert. Auf Antrag des durch die Beteiligte zu 3 vertretenen Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht sie durch Beschluß vom 29.1.1999 ersetzt und verfügt:
Beschlußausfertigungen, Protokollsabschriften und Berichte des Jugendamts an die Beteiligten.
Die in der Geschäftsstelle tätige Justizobersekretärin vermerkte hierzu mit Datum vom 4.2.1999:
An … (die Beteiligten zu 3 und 4) je mit PZU; an … (den Beteiligten zu 1) zugestellt in JVA jeweils mit Rechtsmittelbelehrung, …
Nach der von einem Justizvollzugsbeamten unterzeichneten Zustellungsurkunde wurde am 5.2.1999 „der mit obigem Zustellungsersuchen übersandte verschlossene Umschlag dem Adressaten (dem Beteiligten zu 1) selbst übergeben” und der Tag der Zustellung auf dem Umschlag vermerkt.
Am 8.3.1999 ging folgendes Schreiben des Beteiligten zu 1 vom 3.3.1999 beim Vormundschaftsgericht ein:
Sie haben mir heute ein Schreiben vom Jugendamt zur Kenntnisnahme übersandt.
Aus diesem Schreiben ist zu entnehmen, daß das Amtsgericht mit Beschluß vom 4.2.99 die Einwilligung des leiblichen Vaters für die beantragte Adoption ersetzt hat. Mir ist dieser Beschluß nicht mitgeteilt worden. Können Sie mir bitte sagen, was hier läuft? Bitten leiten Sie dieses Schreiben an die zuständige Stelle weiter. Wenn das Amtsgericht jetzt dazu übergegangen ist, mir ihre Beschlüsse nicht mehr mitzuteilen, dann ersparen Sie sich zumindest vorübergehend die Bearbeitung eines Widerspruchs. Diese Vorgehensweise unterstreicht natürlich meine Vermutung, daß es beim Amtsgericht in meiner Angelegenheit nicht mit rechten Dingen zugeht. Ich ersuche Sie dringend, mir diesen Beschluß vom 4.2.1999, sofern es ihn überhaupt gibt, zuzusenden.
Der Richter vermerkte auf diesem Schreiben, es handle sich möglicherweise um ein Wiedereinsetzungsgesuch, und leitete die Akten dem Landgericht zu.
Das Landgericht teilte dem Beteiligten zu 1 mit zugestellter Verfügung vom 17.3.1999 mit, daß sein Schreiben vom 3.3.1999 als sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts vom 29.1.1999 gewertet werde. Dieser sei ihm am 5.2.1999 zugestellt worden. Die zweiwöchige Beschwerdefrist sei nicht eingehalten. Soweit das Schreiben vom 3.3.1999 zugleich als Antrag auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist auszulegen sei, sei weder die Wiedereinsetzungsfrist noch die Form gewahrt, noch seien Tatsachen, welche eine Wiedereinsetzung begründeten, hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Das Gericht beabsichtige daher, den Antrag auf Wiedereinsetzung und die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Innerhalb der vom Landgericht gesetzten Frist zur Stellungnahme erklärte der Beteiligte zu 1 mit Schreiben vom 25.3.1999:
Ihrer Verfügung vom 24.3.99 muß ich widersprechen. Ich habe den Beschluß des Vormundschaftsgerichts vom 4.2.1999, in der die Einwilligung des leiblichen Vaters ersetzt wurde, bis jetzt noch nicht erhalten. Gegen diesen unsinnigen Beschluß, dem ich mit jeder Faser meines Körpers widerspreche, werde ich mit Sicherheit Widerspruch einlegen, sofern er mir zugesandt wird und ich die Begründung dieses Besc...