Leitsatz (amtlich)
1. Zuständigkeit des oberen Gerichts zur Entscheidung eines Abgabestreits zwischen Gerichten verschiedener Bundesländer.
2. Dem mit der Unterbringung in einer Pflegefamilie verbundenen Aufenthalt des nichtehelichen Kindes kommt für die Frage des wichtigen Grundes in der Regel keine entscheidende Bedeutung zu, wenn die Mutter ihren Wohnsitz beibehält und das Jugendamt die Amtspflegschaft dort weiterführt.
2. Bei der Beurteilung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist auf den Zeitpunkt der Übernahme abzustellen.
Normenkette
FGG §§ 4, 46; RpflG § 4; BGB §§ 1706, 1709; SGB VIII § 87c
Verfahrensgang
AG Bielefeld (Aktenzeichen 2 VIII B 7391/7397) |
AG Köln (Aktenzeichen 55 AR 21/95) |
AG Rosenheim (Aktenzeichen 2 AR 110/95) |
Tenor
Das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – Rosenheim hat die Amtspflegschaft zu übernehmen.
Tatbestand
I.
Für das im Jahr 1982 in Köln nichtehelich geborene Kind Patrick besteht Amtspflegschaft mit dem in § 1706 BGB bezeichneten Aufgabenkreis. Amtspfleger ist – nach den Jugendämtern des Kreises Soest sowie der Stadt Bielefeld – seit 20.10.1993 das Kreisjugendamt Rosenheim, in dessen Bezirk die Mutter ihren Wohnsitz hat. Der Pflegling, dessen Abstammung und Unterhaltsansprüche geklärt sind, lebt seit mehreren Jahren bei einer Pflegefamilie in Köln.
Die Aufsicht über die Amtspflegschaft führt seit 16.10.1985 das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – Bielefeld. Dieses möchte das Pflegschaftsverfahren seit Jahren aus wichtigem Grund abgeben.
Die Amtsgerichte Rosenheim und Köln haben jedoch wiederholt die Übernahme abgelehnt.
Das Oberlandesgericht Köln, dem die Akten gemäß § 46 Abs. 2 FGG vorgelegt worden waren, hatte am 27.5.1994 entschieden, daß „das Amtsgericht Köln derzeit zur Übernahme der Sache nicht verpflichtet” sei, da das Kreisjugendamt Rosenheim Pfleger sei.
Im Jahr 1995 übersandte der Richter des Vormundschaftsgerichts Bielefeld die Akten erneut an das Amtsgericht Rosenheim. Dieses hält im Hinblick auf den Wohnort des Pfleglings nach wie vor das Amtsgericht Köln für zuständig und hat deshalb die Übernahme am 3.7.1995 abgelehnt. Das Kreisjugendamt Rosenheim hat sich dem angeschlossen und mit Schreiben vom 14.9.1995 seine Zustimmung zur Abgabe an das Amtsgericht Rosenheim versagt.
Nach nochmaliger Ablehnung der Übernahme durch das Amtsgericht Köln hat der Rechtspfleger des Amtsgerichts Bielefeld die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung gemäß § 46 Abs. 2 FGG vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist für die Entscheidung des Abgabestreits zuständig (§ 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 199 Abs. 1 und 2 Satz 2 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG), weil das vormundschaftsgerichtliche Pflegschaftsverfahren nunmehr an das bayerische Amtsgericht Rosenheim abgegeben werden soll.
a) Die gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 FGG begründete Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist nicht durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 27.5.1994 ausgeschlossen. Haben – wie hier – bei einem Abgabestreit zwei Gerichte die Übernahme des Pflegschaftsverfahrens abgelehnt und liegen diese Amtsgerichte in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte, so entscheidet das zuerst in der Sache tätig gewordene Oberlandesgericht gemäß §§ 4, 46 Abs. 2 FGG bindend für alle beteiligten Gerichte (BayObLGZ 1986, 433/435 f.; Keidel/Kuntze FGG 13. Aufl. § 46 Rn. 14a; Bassenge/Herbst FGG/RPflG 7. Aufl. § 46 FGG Rn. 8). Eine in diesem Sinn bindende Entscheidung liegt hier jedoch nicht vor. Denn das Oberlandesgericht Köln hat im Hinblick darauf, daß die Frage einer Abgabe der Amtspflegschaft an die Stadt Köln damals nicht abschließend geklärt war, seine Entscheidung vom 27.5.1994 darauf beschränkt, daß das Amtsgericht Köln derzeit zur Übernahme der Sache nicht verpflichtet sei. Im vorliegenden Abgabestreit, der durch neue Übernahmeersuchen eingeleitet wurde, bestehen keine Zweifel mehr daran, daß das Kreisjugendamt Rosenheim Amtspfleger ist. Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des sich schon über mehrere Jahre hinziehenden Abgabestreits wäre eine Ablehnung der Entscheidung des nunmehr angerufenen oberen Gerichts auch aus verfahrenswirtschaftlichen Gründen unzweckmäßig.
b) Der Rechtspfleger des Vormundschaftsgerichts Bielefeld ist im Rahmen seiner funktionellen Zuständigkeit zur Vorlage gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 FGG befugt (§ 4 Abs. 1, 2 RPflG; vgl. BayObLGZ 1993, 7/8; Keidel/Kuntze § 46 Rn. 4 m.w.N.). Gegenstand des vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens, das abgegeben werden soll, ist die Aufsichtsführung über eine Amtspflegschaft (§§ 1706, 1709 Abs. 1 Satz 1, § 1915 Abs. 1, § 1837 Abs. 1 bis 3 BGB). Dieses fällt in die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers (§ 3 Nr. 2a RPflG; Bassenge/Herbst § 14 RPflG Rn. 21).
2. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 FGG sind gegeben.
Das angegangene Amtsgericht Rosenheim hat die Übernahme des Verfahrens mit Verfügung vom 3.7.1995 abgelehnt und der Amtspfleger hat mit Schreiben vom 14....