Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtspflegschaft. Abgabe des vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Nicht jeder, sondern nur ein auf Dauer angelegter Wohnsitzwechsel des nichtehelichen Kindes und seiner Mutter kommt als wichtiger Grund für die Abgabe des vormundschaftsgerichtlichen Aufsichtsverfahrens für die Amtspflegschaft in Betracht.
2. Das abgebende Gericht hat den Sachverhalt so vollständig aufzuklären, daß die Frage des wichtigen Grundes abschließend beurteilt werden kann.
Normenkette
FGG § 46; BGB § 1706; RpflG § 4; SGB VIII § 87c
Verfahrensgang
AG Nürnberg (Aktenzeichen VIII 1071/94) |
AG Schweinfurt (Aktenzeichen 1 AR 36/97) |
Tenor
Das Amtsgericht Schweinfurt ist nicht verpflichtet, das Pflegschaftsverfahren zu übernehmen.
Tatbestand
I.
Für das nichteheliche Kind besteht Amtspflegschaft mit dem in § 1706 BGB bezeichneten Wirkungskreis. Amtspfleger war zunächst das Kreisjugendamt Kitzingen (§ 1709 Abs. 1 Satz 1 BGB). Nachdem beim dortigen Vormundschaftsgericht die Abstammung und Unterhaltsansprüche geklärt worden waren, hat – nach einem Umzug der Mutter mit dem Kind – das Stadtjugendamt Nürnberg die Amtspflegschaft übernommen. Seit 25.11.1994 führt das Vormundschaftsgericht Nürnberg das Pflegschaftsverfahren weiter.
Diesem teilte der Amtspfleger mit Schreiben vom 23.1.1997 mit, die Mutter sei nunmehr mit dem Kind nach Schweinfurt gezogen; das Jugendamt der Stadt Schweinfurt habe sich bereit erklärt, die Amtspflegschaft zur Weiterführung zu übernehmen; es werde angeregt, auch das gerichtliche Verfahren dorthin abzugeben.
Am 28.1.1997 hat das Vormundschaftsgericht Nürnberg die Akten an das Vormundschaftsgericht Schweinfurt mit der Bitte um Übernahme des Pflegschaftsverfahrens übersandt, „da der Pflegling nunmehr im dortigen Bezirk wohne”. Das Amtsgericht Schweinfurt hat die Übernahme abgelehnt.
Daraufhin hat der Rechtspfleger des Amtsgerichts Nürnberg die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung gemäß § 46 Abs. 2 FGG vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung zuständig (§ 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 199 Abs. 1 und 2 Satz 2 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG).
2. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 46 Abs. 2 FGG liegen vor. Die beteiligten Amtsgerichte können sich über die Abgabe und Übernahme nicht einigen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 FGG). Das Jugendamt der Stadt Nürnberg als bisheriger Amtspfleger stimmt einer Abgabe des Pflegschaftsverfahrens an das Amtsgericht Schweinfurt zu. Der Rechtspfleger des Vormundschaftsgerichts Nürnberg ist im Rahmen seiner funktionellen Zuständigkeit (§ 4 Abs. 1 und 2, § 3 Nr. 2 lit. a, § 14 RPflG) zur Vorlage gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 FGG befugt (vgl. BayObLG Rpfleger 1996, 343 m.w.N.).
3. Das Amtsgericht Schweinfurt ist nicht verpflichtet, das vormundschaftsgerichtliche Pflegschaftsverfahren zu übernehmen, weil wichtige Gründe für eine Abgabe gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 FGG derzeit nicht vorliegen.
a) Ob dies der Fall ist, bestimmt sich unter vorrangiger Berücksichtigung der Belange des Pfleglings nach Zweckmäßigkeitserwägungen; auch die Interessen des Pflegers an der Erleichterung seiner Amtsführung sind einzubeziehen (BayObLGZ 1993, 7/8 m.w.N., ständige Rechtsprechung; vgl. auch Keidel/Kuntze FGG 13. Aufl. § 46 Rn. 6 m.w.N.). Bei der Beurteilung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist auf die derzeitigen Verhältnisse abzustellen (BayObLG FamRZ 1983, 744/745).
aa) Auch bei einer Änderung der Zuständigkeit des Jugendamts als Amtspfleger, die auf Grund eines Wohnsitzwechsels der Mutter ohne Mitwirkung des Vormundschaftsgericht eintreten kann (§ 87c Abs. 2 SGB VIII; vgl. BayObLG Rpfleger 1996, 343), verbleibt es für das gerichtliche Verfahren (§§ 1706, § 1915 Abs. 1, § 1837 BGB, § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 FGG) bei der Abgabe nur aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten.
bb) Ein auf Dauer angelegter Aufenthaltswechsel des nichtehelichen Kindes mit seiner Mutter wird regelmäßig als wichtiger Grund im Sinn des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGG angesehen, wenn das für den neuen Wohnsitz oder Aufenthalt zuständige Jugendamt die Amtspflegschaft bereits übernommen hat und die Vaterschaftsfeststellung sowie der Unterhalt rechtskräftig geklärt sind (vgl. Keidel/Kuntze § 46 Rn. 6 b m.w.N.; OLG Schleswig. Rpfleger 1991, 21; OLG Karlsruhe FamRZ 1990, 896/897; a.M. OLG Stuttgart Rpfleger 1994, 165).
b) Im vorliegenden Fall ist allein auf Grund der Mitteilung des Jugendamts der Stadt Nürnberg vom 23.1.1997 ein auf Dauer angelegter neuer Wohnsitz von Mutter und Kind nicht feststellbar. Ein nur vorübergehender Aufenthalt genügt nach Auffassung des Senats für eine Abgabe nicht. Auch wäre bei häufigem Wohnsitzwechsel eine Abgabe des Pflegschaftsverfahrens nicht sinnvoll. Wie die Akten ausweisen, liegt bisher auch keine Übernahmeerklärung des Jugendamts Schweinfurt für die Amtspflegschaft (§ 87c Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) vor. Deshalb ist vorerst eine Abgabe des gerichtlichen Verfahrens nicht zweckmäßig.
Sollten sich die Verhältnis...