Leitsatz (amtlich)
Ein Verweisungsbeschluss, mit dem ein Insolvenzantragsverfahren von dem für den früheren Sitz der Schuldnerin (GmbH) zuständigen Insolvenzgericht nach im Handelsregister eingetragener Sitzverlegung an das nunmehr für den (scheinbaren) Sitz der Schuldnerin zuständige Insolvenzgericht verwiesen wird, ist im Hinblick auf das Grundrecht des gesetzlichen Richters nicht bindend, wenn er auf einer Täuschung der beteiligten Richter über die für den Sitz der Schuldnerin maßgeblichen tatsächlichen Umstände beruht.
Normenkette
ZPO §§ 17, 36 Abs. 1 Nr. 6; InsO §§ 3-4; GmbHG § 4a; HGB § 13h
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 109 IN 171/03) |
AG München (Aktenzeichen 1507 IN 3326/02) |
Tenor
Zuständig ist das AG München – Insolvenzgericht.
Gründe
Der Gläubiger, der einen Titel über 14.060,53 Euro nebst Zinsen gegen die Schuldnerin besitzt, hat nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen am 10.12.2002 beim AG München die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Nach Hinweis des Insolvenzrichters, „dass die Schuldnerin in Berlin den allgemeinen Gerichtsstand hat, so dass gem. § 3 Abs. 1 InsO das AG München nicht zuständig ist”, vielmehr das AG Berlin-Charlottenburg, beantragte der Gläubiger „die Verweisung an das zuständige AG Berlin-Charlottenburg”. Mit Beschluss vom 2.1.2003 erklärte sich das AG München für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das AG Berlin-Charlottenburg.
Der vom AG Charlottenburg beauftragte Sachverständige teilte mit Schreiben vom 1.7.2003 als Ergebnis seiner Ermittlungen zur Vermögenslage der Schuldnerin mit, er halte eine Zuständigkeit des AG Charlottenburg als Insolvenzgericht nach § 3 Abs. 1 InsO nicht für gegeben. Zwar sei durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 17.8.2001 die Sitzverlegung von München nach Berlin beschlossen worden und anschließend die Eintragung im Handelsregister des AG Charlottenburg erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt sei aber nach der eidesstattlichen Versicherung des seit 31.7.2001 neu eingesetzten Geschäftsführers der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin bereits vollständig eingestellt gewesen. Dem neuen Geschäftsführer seien keinerlei Geschäftsunterlagen der Schuldnerin übergeben worden. Er besitze auch keinerlei Informationen über Art und Umfang des vorherigen Geschäftsbetriebs. Er habe nach seiner Bestellung als Geschäftsführer weder Geschäfte der Schuldnerin geführt noch irgendwelche Abwicklungstätigkeiten entfaltet. Die Schuldnerin habe somit eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit in Berlin weder beabsichtigt noch ausgeführt. Die an der Sitzverlegung beteiligten Gesellschafter und Geschäftsführer unternähmen den Versuch einer betrügerischen Zuständigkeitserschleichung. Der Verweisungsbeschluss des AG München dürfte deswegen unwirksam sein.
Mit Beschluss vom 29.7.2003 erklärte sich das AG Charlottenburg für örtlich unzuständig und legte die Akten nach § 4 InsO, § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO „zur Bestimmung der Zuständigkeit” vor. Zur Begründung nahm es auf das Ermittlungsergebnis des Sachverständigen vom 1.7.2003 Bezug.
II. 1. Nach § 4 InsO sind im Insolvenzverfahren die Vorschriften der ZPO entspr. anzuwenden. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts, wie er hier vorliegt, richtet sich das Verfahren daher nach § 36 ZPO (vgl. Ganter in MünchKomm/InsO, § 3 Rz. 34, § 4 Rz. 39).
Für die Bestimmung des zuständigen Gerichts ist das BayObLG nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO zuständig.
2. Die Voraussetzung einer Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, dass sich verschiedene Gerichte, von denen eines für das Verfahren zuständig ist, rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, ist gegeben. Im Insolvenzverfahren kann, wenn das angegangene Insolvenzgericht nach § 3 InsO nicht örtlich zuständig ist, nach §§ 281, 495 ZPO verwiesen werden (Ganter in MünchKomm/InsO, § 4 Rz. 55). Der Beschluss des AG Charlottenburg vom 29.7.2003 ist sinngemäß als Zurückverweisung an das AG München zu verstehen. Er enthält ebenso wie der Verweisungsbeschluss des AG München vom 2.1.2003 eine gem. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht anfechtbare und damit i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO „rechtskräftige” Unzuständigkeitserklärung.
3. Im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind in erster Linie die verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen – insb. die nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO eintretende Bindung – zu beachten (BGHZ 17, 168 [171]; BayObLGZ 1994, 113; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 28). Auf die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften – hier auf die Bestimmungen des § 3 InsO – kommt es erst dann an, wenn kein die Zuständigkeit bindend festlegender Verweisungsbeschluss vorliegt. Sind, wie hier, mehrere Verweisungsbeschlüsse ergangen, so ist der erste Verweisungsbeschluss vor dem zweiten auf seine bindende Wirkung hin zu prüfen und – bei Bejahung der Bindungswirkung – der Entscheidung zugrunde zu legen (BGH NJW 1964, 45 [46]). Die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO tritt auch dann ein, wenn der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig ist (Zöller/Greger, § 2...