Leitsatz (amtlich)

Hat die Schuldnerin vor Stellung des Insolvenzantrags ihre wirtschaftliche Tätigkeit eingestellt, ist das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk die Schuldnerin ihren satzungsmäßig festgelegten Sitz hat, auch wenn der Geschäftsführer der Schuldnerin angibt, von seinem Wohnsitz aus das Insolvenzverfahren abzuwickeln (Fortführung von BayObLG v 25.7.2003 – 1Z AR 72/03; v. 8.9.2003 – 1Z AR 86/03).

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; InsO § 3 Abs. 1 S. 1 und 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 102 IN 3545/03)

AG Bamberg (Aktenzeichen 2 IN 294/03)

 

Tenor

Zuständig ist das AG Bamberg – Insolvenzgericht.

 

Gründe

I. Die Schuldnerin ist eine am 21.8.1996 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand die Durchführung von Hoch-, Tief- und Stahlbetonarbeiten war. Mit notariellem Vertrag vom 22.4.2003 veräußerte der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer A sämtliche Geschäftsanteile der unter A-Bauunternehmung GmbH firmierenden Gesellschaft an B., der sofort eine Gesellschafterversammlung abhielt, in der er A. als Geschäftsführer abberief, ihm Entlastung erteilte und sich selbst zum neuen Geschäftsführer bestellte und die Firma der Gesellschaft in B-GmbH und den Unternehmensgegenstand in „Handel mit Baustoffen” änderte. Die Anmeldung der Änderungen zum Handelsregister des AG Bamberg erfolgte am 20.5.203. Am 11.6.2003 hielt B zu notarieller Urkunde eine Gesellschafterversammlung ab, in der er als neuen Sitz der Gesellschaft Brandenburg a.d. Havel bestimmte. Die Anmeldung der Sitzverlegung beim Registergericht wurde allerdings zurückgezogen.

B. beantragte mit einem an das AG Bamberg gerichteten Schreiben der Schuldnerin vom 17.6.2003, eingegangen am 18.6.2003, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und zugleich dessen Verweisung an das AG Berlin-Charlottenburg. Er führte aus, es habe sich die zwingende Notwendigkeit ergeben, den Gewerbebetrieb abzumelden, bestehende Arbeitsverhältnisse aufzulösen, die angemieteten Räumlichkeiten aufzugeben und sämtliche Geschäftsunterlagen an seinen in Berlin gelegenen Wohnsitz zu verbringen, von wo aus er die Abwicklung der Gesellschaft unter Einschaltung der X-GmbH vornehmen wolle. Das AG Bamberg – Insolvenzgericht – hat sich ohne jede Ermittlung mit Beschluss vom 23.6.2003 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das AG Charlottenburg – Insolvenzgericht – verwiesen. Über das Gesetzeszitat „§§ 3, 4 InsO, § 281 ZPO” hi- naus ist der Beschluss mit keiner Begründung versehen. Nach Anhörung der Beteiligten hat sich das AG Charlottenburg – Insolvenzgericht – mit Beschluss vom 19.8.2003 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung hat das AG Charlottenburg u.a. ausgeführt, das AG Bamberg habe das Verfahren nicht unter Hinweis auf § 3 Abs. 1 S. 2 InsO an das AG Charlottenburg verweisen dürfen, weil die Schuldnerin in dessen Bezirk keine wirtschaftliche Tätigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung entfaltet habe. Der Antragsteller habe lediglich pauschal einen Katalog denkbarer Abwicklungstätigkeiten aufgelistet, die unter Einschaltung der X-GmbH beabsichtigt seien. Die Firma X-GmbH Unternehmensberatung/Wirtschaftsdienste Berlin habe bei Insolvenzproblemen wiederholt in der Presse (FAZ) mit Hilfe binnen 24 Stunden durch Übernahme des Unternehmens, Abberufung und Entlastung des Geschäftsführers geworben. Sie sei aus einer Vielzahl von Parallelverfahren bekannt und halte für die angeworbenen Unternehmen lediglich eine Briefkastenanschrift vor. In den gerichtsbekannten Fällen, in denen Geschäftsführerwechsel, Gesellschaftsanteilsübertragung und Sitzverlegung sowie Insolvenzantrag in engem zeitlichen Zusammenhang stünden und die X-GmbH hinter der Firmenübernahme stehe, bestehe die Gefahr, dass durch ein Insolvenzverfahren beim AG Charlottenburg und nicht am Ort der Registereintragung oder der ehemaligen tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit die Schuldnerin dem Gläubigerzugriff entzogen werde und die Aufklärung von Vermögensverschiebungen sowie die Inanspruchnahme der ehemaligen Geschäftsführer und Gesellschafter erschwert werde. Der Verweisungsbeschluss des AG Bamberg entfalte keine Bindungswirkung, weil die Zuständigkeit des AG Charlottenburg durch Täuschung des AG Bamberg über die maßgeblichen tatsächlichen Umstände erschlichen worden sei mit dem Ziel, die ehemaligen Gesellschafter und Geschäftsführer der Aufmerksamkeit der Gläubiger am früheren Firmensitz zu entziehen, ihren Namen nicht durch Veröffentlichung in der Lokalpresse zu belasten und dem räumlich entfernten Insolvenzgericht die Aufklärung etwaiger Anfechtungs- und Haftungsansprüche zu erschweren.

II.1. Das BayObLG ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zuerst mit der Sache befassten bayerischen AG Bamberg und dem Berliner AG Charlottenburg gem. § 4 InsO, § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO berufen.

2. Die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestimmung ...

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