Leitsatz (amtlich)

›Die Frist zur Einlegung der Revision gegen ein nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil beginnt für den Angeklagten auch dann erst mit der Zustellung des Urteils, wenn er bei dessen Verkündung anwesend, nach den Urteilsfeststellungen jedoch (selbstverschuldet) verhandlungsunfähig war. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob das Landgericht den Angeklagten zu Recht als abwesend behandelt hat.‹

 

Tatbestand

Am 19.8.1997 verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten in dessen Anwesenheit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zur Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 DM.

Am 28.8.1997 legte der Angeklagte zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts "gegen das Urteil vom 21.8.1997... Berufung ein". Am 26.11.1997 hat das Landgericht die Berufung des zur Hauptverhandlung erschienenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ohne Verhandlung zur Sache verworfen, weil er infolge selbstverschuldeter Trunkenheit verhandlungsunfähig sei.

Nach Zustellung dieses Urteils am 9.12.1997 legte der Angeklagte am 16.12.1997 hiergegen u. a. Revision ein, die er zugleich mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts begründete. Das Rechtsmittel führte zur Verwerfung der Berufung als unzulässig.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision des Angeklagten ist zulässig, insbesondere ist sie auch fristgerecht eingelegt worden (§ 341 Abs. 2 StPO). Dem steht nicht entgegen, daß das Urteil vom 26.11.1997 in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden war, so daß bei Einlegung des Rechtsmittels am 16.12.1997 die Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO bereits abgelaufen war. Der Begriff "nicht erschienen" im Sinn der vom Landgericht angewendeten Vorschrift des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO bedeutet über den Fall der körperlichen Abwesenheit hinaus, daß auch der Angeklagte als ausgeblieben zu behandeln ist, der im Zustand der Verhandlungsunfähigkeit erschienen ist und dies verschuldet hat (BGHSt 23, 331/334; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer StPO 24. Aufl. § 329 Rn. 7; je m. w. N.); das war nach den Feststellungen des Landgerichts der Fall. Dieser - rechtliche - Abwesenheitsbegriff kann im Verfahrensrecht nur einheitlich verstanden werden mit der Folge, daß er auch im Zustellungsverfahren und für die Berechnung der Rechtsmittelfristen (§ 35 Abs. 2 Satz 1, § 314 Abs. 2, § 341 Abs. 2 StPO) Anwendung finden muß.

Die Frist zur Einlegung der Revision gegen ein nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil beginnt für den Angeklagten daher auch dann stets erst mit der Zustellung des Urteils, wenn er bei dessen Verkündung - körperlich - anwesend, jedoch infolge eigenen Verschuldens verhandlungsunfähig war.

Da die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht von dessen Begründetheit abhängen kann, würde sich an diesem Ergebnis auch dann nichts ändern, wenn die Prüfung im Einzelfall ergeben sollte, daß das Landgericht den Angeklagten zu Unrecht als abwesend behandelt hat; entscheidend sind daher insoweit allein die Urteilsfeststellungen.

2. Das Rechtsmittel des Angeklagten führt neben der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils zur Verwerfung seiner Berufung als unzulässig.

Auf die zulässige Revision hin hat der Senat auch ohne entsprechende Verfahrensrüge von Amts wegen die Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen; ist ein Berufungsurteil angefochten, umfaßt diese Prüfung auch die Frage der Zulässigkeit der Berufung (Bay0bLG bei Rüth DAR 1985, 246; BayObLGSt 1993, 140/141; Löwe/Rosenberg/Hanack § 352 Rn. 3).

Hier ergibt die Prüfung, daß die Berufung des Angeklagten verspätet war. Denn da das amtsgerichtliche Urteil vom 19.8.1997 in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden war, endete die Frist zur Einlegung der Berufung am Dienstag, dem 26.8.1997 (§ 314 Abs. 1, § 43 Abs. 1 StPO). Im Zeitpunkt der Berufungseinlegung am 28.8.1997 war diese Frist daher bereits abgelaufen. Daß im Protokoll des Urkundsbeamten als Urteilszeitpunkt - offensichtlich versehentlich - der 21.8.1997 angegeben worden war, ändert hieran nichts.

Bei dieser Sachlage stand der Fortsetzung des Verfahrens durch die Strafkammer als Verfahrenshindernis die Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils entgegen.

Auf die Revision des Angeklagten ist daher das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 353 StPO) und die vom Landgericht unterlassene Verwerfung seiner Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 19.8.1997 als unzulässig nachzuholen (§ 354 Abs. 1 StPO; BayObLG Beschlüsse v. 15.6.1981 - RReg. 3 St 97/79 - und v. 31.1.1984 - RReg. 2 St 382/83). Das rechtskräftig gewordene Urteil des Amtsgerichts München vom 19.8.1997 bleibt somit uneingeschränkt bestehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993767

DRsp IV(460)175-5

DAR 1998, 361

DAR 1998, 361 (LS)

NStZ-RR 1998, 368

NZV 1998, 513

NZV 1998, 513 (LS)

VRS 1998, 258

VRS 95, 258

BayObLGSt 1998, 87

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