Leitsatz (amtlich)
1.
Hat der Verteidiger gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt und wird das Urteil nur an den Angeklagten zugestellt, ohne dass der Verteidiger hiervon unterrichtet wurde, bildet das Fehlen der Benachrichtigung einen Wiedereinsetzungsgrund.
2.
Erscheint der Angeklagte zum Termin unentschuldigt nicht, bestehen nach Aktenlage, die das Berufungsgericht zu prüfen hat, aber Anhaltspunkte, dass dies angesichts der Erkrankung des Angeklagten auf einem nicht vorwerfbaren Irrtum beruhen könnte, hat das Landgericht vor einer Verwerfung der Berufung im Wege des Freibeweises zu prüfen, ob der Angeklagte an seinem Rechtsmittel festhalten will.
Tatbestand
Das Amtsgericht - Schöffengericht - verurteilte den Angeklagten am 12. September 2006 wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht in Anwesenheit des Verteidigers am 14. Mai 2007 ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 329 Abs. 1 StPO. Das Urteil wurde dem Angeklagten am 29. Mai 2007 zugestellt. Eine Benachrichtigung hiervon an den Verteidiger unterblieb. Aufgrund Verfügung des Landgerichts vom 28. Juli 2008 wurde das Urteil dem Verteidiger am 6. August 2008 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 21. Mai 2007, eingegangen am 25. Mai 2007, beantragte der Verteidiger des Angeklagten Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Hauptverhandlung und legte gleichzeitig für den Fall der Verwerfung Revision ein. Das Landgericht verwarf den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet. Die sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 9. Mai 2008 als unbegründet verworfen.
Mit Schriftsatz vom 8. August 2008 wiederholte der Verteidiger des Angeklagten den Antrag auf Wiedereinsetzung und Einlegung der Revision mit einer ergänzten Begründung und gab am 5. September 2008 eine ausdrücklich als solche bezeichnete Revisionsbegründung ab, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er beanstandet insbesondere, das Landgericht habe seine Pflicht zur Aufklärung verletzt.
Die Revision hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
1.
Die Revision ist zulässig erhoben.
Revisionsanträge und Revisionsbegründung waren verspätet (§ 344 Abs. 1 und Abs. 2 StPO, § 345 Abs. 1 StPO). Dem Angeklagten war jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO i.V.m. § 44 StPO.
a)
Die Revision ist durch den Schriftsatz vom 21. Mai 2007 rechtzeitig und formgerecht eingelegt worden, § 341 StPO, jedoch enthält dieser Schriftsatz weder eine formelle noch eine materielle Revisionsrüge (§ 344 Abs. 2 StPO). Zwar lässt sich aufgrund der Revisionseinlegung noch schließen, dass der Angeklagte die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung erstrebt, jedoch enthält der SchriftSatz 1ediglich eine Begründung des Wiedereinsetzungsantrags.
Die weiteren Anträge und Begründungen in den Schriftsätzen vom 8. August 2008 und 5. September 2008 sind nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) eingegangen.
Die Revisionsbegründungsfrist endet einen Monat nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels oder, falls das Urteil zu dieser Zeit noch nicht zugestellt ist, binnen eines Monats nach dessen Zustellung. Da das Berufungsurteil in Abwesenheit des Angeklagten erging, begann die Frist zur Einlegung der Revision mit der Zustellung des Urteils (§ 341 Abs. 2 StPO). Das Urteil wurde dem Angeklagten laut Postzustellungsurkunde am 29. Mai 2007 zugestellt. Die Zustellung an den Angeklagten setzte die Rechtsmittelfristen in Gang (Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 145a Rn. 6). Die Frist zur Einlegung der Revision von einer Woche (§ 341 Abs. 1 StPO) endete damit am 5. Juni 2007, die Frist zur Revisionsbegründung von einem Monat nach Ablauf der Einlegungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) lief somit am 5. Juli 2007 aus. Die Schriftsätze vom 8. August 2008 und 5. September 2008 waren daher verspätet.
Dieser Feststellung steht nicht entgegen, dass das Urteil entsprechend einer Verfügung des Landgerichts vom 28. Juli 2008 erneut, diesmal an den Verteidiger, zugestellt worden ist. Die weitere Zustellung wäre nur von Bedeutung, wenn die frühere Zustellung an den Betroffenen unwirksam gewesen wäre. Dies war jedoch nicht der Fall. Der gewählte wie der bestellte Verteidiger gelten nach § 145a Abs. 1 StPO als ermächtigt, Zustellungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen. Dies beinhaltet aber keine eine Verpflichtung der Behörde, die Zustellung an den Verteidiger zu bewirken (Meyer-Goßner § 145a Rn. 6). Auch das Fehlen der Benachrichtigung an den Verteidiger gemäß § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO macht die Zustellung nicht unwirksam (Meyer-Goßner § 145a Rn. 14). Die genannte Vorschrift über die Benachrichtigung ist eine bloße Ordnungsvorschrift.
Die Bestimmung des § 37 Abs. 2 StPO, wonach bei Zustellungen an mehrere Empfangsberechtigte die Frist nach der letzten Zustellung berechnet werden muss, greift hie...