Leitsatz (amtlich)

1. Das Tatgericht darf eine Revision nach § 346 Abs. 1 StPO nur dann als unzulässig verwerfen, wenn die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO durch Zustellung des Urteils nach Fertigstellung des Protokolls der Hauptverhandlung wirksam in Lauf gesetzt wurde. Dies setzt zwingend eine Anordnung des Vorsitzenden nach § 36 Abs. 1 S. 1 StPO voraus, wann, wem und in welcher Form zugestellt werden soll. Die von der Geschäftsstelle ohne Anordnung des Vorsitzenden verfügte Zustellung an den Angeklagten ist unwirksam.

2. Die vom Vorsitzenden an den Verteidiger verfügte und an ihn bewirkte Zustellung ist auch dann wirksam, wenn der Verteidiger seine Verteidigertätigkeit auf eine Tätigkeit außerhalb der Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung beschränkt, vorausgesetzt, dass er durch rechtsgeschäftliche Vollmacht ermächtigt ist, Zustellungen aller Art in Empfang zu nehmen.

3. Enthält das vom Verteidiger unterzeichnete und das zugestellte Schriftstück bezeichnende Empfangsbekenntnis entgegen § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 174 Abs. 4 S. 1 ZPO kein Zustellungsdatum, lässt sich das Datum der Zustellung und damit der Empfangsbereitschaft des Verteidigers über den Eingangsstempel des Gerichts ermitteln (im Anschluss an BGH NJW 2005, 3216/3217).

 

Normenkette

StPO § 346 Abs. 14 S. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Entscheidung vom 13.03.2009)

 

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts München I vom 13. März 2009, durch den die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I als unzulässig verworfen wurde, wird aufgehoben.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht München am 9. Januar 2008 wegen falscher Verdächtigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je EUR 5,-- verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichteten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft verwarf das Landgericht München I mit Urteil vom 23. Juli 2008 als unbegründet. Die hiergegen gerichtete und am 28. Juli zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts erklärte Revision des Angeklagten verwarf das Landgericht München I mit Beschluss vom 13. März 2009 als unzulässig, weil das Rechtsmittel nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO begründet worden sei. Der Verwerfungsbeschluss wurde dem Angeklagten am 19. März 2009 zugestellt. Mit am 26.

März 2009 bei dem Berufungsgericht eingegangenem Schreiben vom selben Tag beantragte der Angeklagte die Entscheidung des Revisionsgerichts sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. II.

1.

Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist zulässig, da er binnen der Wochenfrist nach § 346 Abs. 2 S. 1 StPO bei dem Berufungsgericht gestellt wurde und sonstige Formerfordernisse nicht gewahrt werden müssen (Kuckein in KK 6. Aufl. § 346 Rn. 16; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 346 Rn. 8).

2.

Der Antrag ist auch begründet, denn die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO wurde nicht wirksam in Lauf gesetzt.

a)

Bei der Prüfung der Begründetheit eines Antrags nach § 346 Abs. 2 StPO unterliegt das Revisionsgericht nicht den Beschränkungen, welche der Tatrichter nach § 346 Abs. 1 StPO zu beachten hat; die dem Revisionsgericht obliegende Prüfungsaufgabe entspricht derjenigen, die es auch nach § 349 Abs. 1 StPO zu erfüllen hat (Kuckein a.a.O. § 346 Rdn. 21; Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 10). Diese Prüfung ergibt, dass mangels wirksamer Urteilszustellung die Revisionsbegründungsfrist nach § 345 Abs. 1 StPO nicht in Lauf gesetzt wurde.

b)

Gemäß § 345 Abs. 1 StPO sind die Revisionsanträge und ihre Begründung spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. War zu dieser Zeit das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils. Da das am 23. Juli 2008 verkündete Urteil dem Angeklagten nicht binnen der Frist des § 341 Abs. 1 StPO zugestellt wurde, ist für die Fristberechnung nach § 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 43 Abs. 1, 2 StPO der Zeitpunkt der Urteilszustellung maßgebend (Meyer- Goßner a.a.O. § 345 Rn. 5). Dies setzt - was von Amts wegen vom Revisionsgericht zu prüfen ist - eine wirksame Urteilszustellung nach §§ 36 Abs. 1, 37, 40, 41 StPO voraus (Kuckein a.a.O. § 345 Rn. 4; Meyer-Goßner a.a.O. § 345 Rn. 5).

aa)

Die an den Angeklagten am 16. Oktober 2008 persönlich bewirkte Zustellung war unwirksam. Denn die Zustellung an den Angeklagten war vom Vorsitzenden der Berufungskammer entgegen § 36 Abs. 1 S. 1 StPO nicht angeordnet worden. Die Anordnung der Zustellung ist nicht bloße Förmlichkeit (Meyer-Goßner a.a.O. § 36 Rn. 4), sondern hat Klarstellungs- und Bestimmungsfunktion. Aus diesem Grund verlangt § 36 Abs. 1 S. 1 StPO von der Anordnung des Vorsitzenden, dass sie klarstellt, wann, wem und in welcher Form zugestellt werden soll (Maul in KK 6. Aufl. § 36 Rn. 2; Meyer-Goßner a.a.O. § 36 Rn. 4). Erfolgt eine Zustellung ohne eine solche Anordnung des Vorsitzenden, ist sie unwi...

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