Leitsatz (amtlich)

›1. Ordnet der Vorsitzende die Zustellung des Urteils an den Verteidiger "mit Postzustellungsurkunde" an und gelangt die Zustellungsurkunde nicht zu den Akten, kann die (unwirksame) Zustellung nicht in eine solche gegen Empfangsbekenntnis nach § 212 a ZPO umgedeutet werden, wenn der Verteidiger auf Betreiben der Geschäftsstelle unterschriftlich bescheinigt, das Urteil zu einem bestimmten Zeitpunkt erhalten zu haben.

2. Voraussetzung für eine Verwerfung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl wegen unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten wie für das gesamte weitere Verfahren ist die wirksame Zustellung des Strafbefehls (wie OLG Karlsruhe StV 1995, 8). Ob das auch für den Fall gilt, daß der Zugang des Strafbefehls an den Angeklagten auf andere Weise oder zumindest die sichere Kenntnis des Angeklagten von dessen Erlaß und Inhalt feststehen (PfzOLG Zweibrücken NStZ 1994, 602), bleibt offen.‹

 

Tatbestand

Am 14.1.1998 hatte das Amtsgericht den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl vom 10.11.1997, mit dem gegen ihn wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 DM festgesetzt sowie eine Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet worden waren, nach §§ 412, 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil er zur Hauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen und auch nicht durch einen Verteidiger vertreten worden sei. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht am 9.9.1998 als unbegründet verworfen.

Die gegen dieses in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil von ihm am 15.9.1998 eingelegte Revision hat das Landgericht mit Beschluß vom 25.1.1999 nach § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil nach Zustellung des Urteils am 28.10.1998 die Revision nicht fristgerecht begründet worden sei. Die Revisionsbegründungsschrift des Verteidigers Rechtsanwalt W. in K. vom 2.12.1998 ist am 5.12.1998 beim Landgericht eingegangen; mit ihr rügte der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Nach Zustellung des Beschlusses vom 25.1.1999 am 28.1.1999 beantragte der Angeklagte am 30.1.1999 die Entscheidung des Revisionsgerichts und "vorsorglich ... wegen aller möglicher formal versäumter Fristen" Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Rechtsmittel des Angeklagten führten zur Aufhebung dieses Beschlusses und der vorausgehenden Urteile des Amtsgerichts und Landgerichts sowie zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.

 

Entscheidungsgründe

1. Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2, § 43 StPO) hat Erfolg. Der Beschluß des Landgerichts vom 25.1.1999 kann keinen Bestand haben, weil das angefochtene Urteil vom 9.9.1998 bisher nicht wirksam zugestellt und die Revisionsbegründungsfrist daher noch nicht in Lauf gesetzt wurde (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 345 Rn. 5).

Nach - rechtzeitiger - Revisionseinlegung am 19.9.1998 hatte der Strafkammervorsitzende zunächst am 17.9.1998 die Zustellung des Urteils an Verteidiger, RAe Dr. B." und formlose Unterrichtung des Angeklagten hierüber verfügt; das von der Geschäftsstelle vorbereitete und an "RAe Dr. B. u. a." in K. gerichtete Empfangsbekenntnis (§ 212 a ZPO) ist dort am 24.9.1998 eingegangen und, soweit leserlich, handschriftlich von Rechtsanwalt Dr. B. unterzeichnet worden.

Diese Zustellung war, wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, unwirksam, weil in der Zustellungsanordnung der Empfänger unzutreffend bezeichnet worden ist und die Kenntnis des Verteidigers daher nicht formgerecht feststeht (Kleinknecht/Meyer-Goßner § 36 Rn. 4; § 37 Rn. 19). Denn Verteidiger des Angeklagten waren nicht die Rechtsanwälte Dr. B. und Kollegen, sondern ausschließlich der- allerdings der Sozietät angehörende - Rechtsanwalt W., der ausweislich seiner Schriftsätze vom 26.8. und 20.11.1997 zum Alleinverteidiger bestellt war. Das Empfangsbekenntnis vom 24.9.1998 ist, wenn nicht von Rechtsanwalt Dr. B., so doch jedenfalls nicht von Rechtsanwalt W. selbst unterzeichnet worden, wie ein Schriftvergleich zweifelsfrei ergibt. Daher kann, selbst wenn man die Anordnung des Vorsitzenden dahin verstehen wollte, es sei jedenfalls auch dem Verteidiger Rechtsanwalt W. zuzustellen, nicht davon ausgegangen werden, dieser habe sich durch den anderen Rechtsanwalt lediglich vertreten lassen (Zöller/Stöber ZPO, 21. Aufl. § 212 a Rn. 2), weil der andere Rechtsanwalt formal selbst Zustellungsempfänger war und für einen Vertretungswillen nichts ersichtlich ist.

Aber auch die erneute Zustellungsverfügung des vorsitzenden vom 27.10.1998, derzufolge dem Verteidiger, Rechtsanwalt Reiner W. ... mit Postzustellungsurkunde" zuzustellen war, hat zu keiner wirksamen Zustellung geführt. Denn die über die erfolgte Zustellung auszustellende Zustellungsurkunde (§ 37 Abs. 1 Satz 1 StPO, §§ 211, 212, 195 Abs. 2 ZPO), ist nicht zu den Akten gelangt. Die Bemühungen der Geschäftsstelle des Landgerichts beim Postamt K. haben lediglich dazu geführt, daß von der Kanzlei Recht...

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