Leitsatz (amtlich)
Als Prozesserklärung gestaltet der von der beklagten Partei wirksam erklärte bindende Verzicht auf die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit die Verfahrenslage dergestalt, dass die örtliche Zuständigkeit im Rechtsstreit nicht mehr in Frage gestellt werden kann; bereits der so erklärte Verzicht wirkt zuständigkeitsbegründend.
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 19 O 8569/17) |
Tenor
Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Antragstellerinnen verlangen von den vier Antragsgegnerinnen Ausgleich des Schadens, der ihnen und ihren Gesamtrechtsvorgängerinnen sowie dem von der Antragstellerin zu 6) bezeichneten Zedenten jeweils durch den Einkauf bzw. das Leasing überteuerter Lastkraftwagen entstanden sein soll.
Unter Bezugnahme auf den Beschluss der Europäischen Kommission vom 19. Juli 2016 in Sachen AT-39824 - Trucks machen sie geltend, die Antragsgegnerinnen und weitere Lastkraftwagen-Hersteller und/oder -Vertreiber hätten zwischen 1997 und 2011 Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 getroffen und dadurch gegen Art. 101 AEUV verstoßen. Sie - die Antragstellerinnen bzw. ihre Rechtsvorgängerinnen sowie der Zedent - hätten in diesem Zeitraum Lastkraftwagen erworben bzw. geleast und hierfür aufgrund des Kartells überhöhte Kaufpreise bzw. Leasingraten bezahlt. Sie könnten deshalb von den Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldnerinnen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 81 EGV bzw. Art. 101 AEUV sowie § 33 GWB (in der bis 12. Juli 2005 geltenden Fassung) jeweils Schadensersatz verlangen.
Mit ihrer beim Landgericht Nürnberg-Fürth unter dem 30. Dezember 2017 erhobenen Klage wollen sie jeweils die Feststellung erreichen, dass die Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldnerinnen verpflichtet seien, den jeweiligen Schaden zu ersetzen, der ihnen und ihren Rechtsvorgängerinnen bzw. - hinsichtlich der Antragstellerin zu 6) - dieser und dem Zedenten aufgrund des festgestellten Kartellverstoßes entstanden sei und in der Zukunft noch entstehen werde.
Die Sitze der Antragstellerinnen zu 1) bis 5) liegen im Bezirk des Landgerichts Würzburg (Oberlandesgericht Bamberg), derjenige der Antragstellerin zu 6) im Bezirk des Landgerichts Bochum; der Wohnsitz des Zedenten ist nicht mitgeteilt.
Die Antragsgegnerin zu 1) ist im Bezirk des Landgerichts Stuttgart ansässig; die Antragsgegnerinnen zu 2) bis 4) haben ihre Sitze im Bezirk des Landgerichts München I.
Die Antragstellerinnen vertraten in der Klageschrift die Auffassung, beim angerufenen Gericht sei der Gerichtsstand des Delikts eröffnet. In dessen Bezirk liege der Erfolgsort. Das geschützte Rechtsgut sei an dem Ort beeinträchtigt worden, an dem sich die von den Antragsgegnerinnen als Mittäterinnen verwirklichten Verstöße auswirkten, mithin an den jeweiligen Sitzen der Antragstellerinnen. Dort hätten die Antragstellerinnen die überhöhten Angebote erhalten und die Zahlung der überhöhten Preise veranlasst. Mit Blick darauf, dass sich die Schadensersatzansprüche jeweils auf kartellrechtliche Ansprüche stützten, seien die Voraussetzungen der Klageverbindung nach § 87 GWB und in der Folge einer Zuständigkeit nach § 88 GWB erfüllt.
Die Antragsgegnerinnen zu 2) bis 4) rügten mit ihrer Klageerwiderung vom 22. Mai 2018, das angerufene Gericht sei nur für einen Teil der geltend gemachten Schadensersatzansprüche örtlich zuständig, nicht aber für diejenigen Ansprüche, die von der Antragstellerin zu 6) und von weiteren damals noch als Klägerinnen am Verfahren beteiligten Gesellschaften verfolgt würden. Da deren Sitze nicht im Gerichtsbezirk lägen, befinde sich dort nicht der Erfolgsort der sanktionierten Verhaltensweisen im Sinne des § 32 ZPO. Aus § 88 GWB folge lediglich eine "Annexzuständigkeit" im Sinne einer Erweiterung der funktionalen Zuständigkeit der Kartellkammer auf weitere nicht-kartellrechtliche Ansprüche. Hingegen werde eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die geltend gemachten kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche vorausgesetzt.
Die Antragstellerinnen hielten an ihrer Auffassung fest, das angerufene Gericht sei insgesamt örtlich zuständig. Der Kartellverstoß habe sich "im ganzen EWR" ausgewirkt; mithin liege der Erfolgsort auch im Bezirk des angerufenen Landgerichts. Hilfsweise beantragten sie mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2019, den Rechtsstreit an das Landgericht Stuttgart - Kartellkammer - zu verweisen.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth erteilte am 26. September 2019 Hinweise zur Sache und am 9. Juni 2020 auf entsprechende Bitte der Antragstellerinnen einen Hinweis in Bezug auf die örtliche Teil-Unzuständigkeit.
Mit Schriftsatz vom 20. August 2020 nahmen die Antragstellerinnen ihren auf Verweisung gerichteten Hilfsantrag zurück. Zudem wurde eine Klagerücknahme für alle übrigen Klägerinne...