Leitsatz (amtlich)
1. Hat für eine zivilprozessuale Klage ein gemeinschaftlicher allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand im Inland zur Verfügung gestanden, scheidet eine Bestimmung des für den Rechtsstreit zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch dann aus, wenn der einheitliche Gerichtsstand durch die hinsichtlich eines Streitgenossen bindend getroffene Wahl eines anderen Gerichts verloren gegangen ist.
2. Dies gilt auch, wenn die zunächst nur gegen einen Streitgenossen erhobene Klage gegen weitere Streitgenossen erweitert werden soll oder worden ist, sofern der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung hinreichende Informationen über alle potentiellen Schuldner und einen gemeinschaftlichen Gerichtsstand hatte und dennoch an einem anderen Ort Klage erhoben hat.
3. Der Erfüllungsort der streitigen vertraglichen Hauptpflicht bestimmt auch denjenigen der Nebenpflicht.
4. Der Ort, an dem der Schaden aus einem unmittelbar gegen das Vermögen als Ganzes gerichteten deliktischen Eingriff eingetreten ist, liegt regelmäßig am Wohnsitz bzw. Sitz des Geschädigten. Um einen solchen Eingriff in das Vermögen als Ganzes handelt es sich, wenn der Schaden bereits in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung liegt. Liegt der Vermögensschaden bereits im Vertragsabschluss, kommt es für die Bestimmung des Schadensorts nicht darauf an, wo und wie das nach dem Vertrag geschuldete Entgelt im Einzelfall geleistet worden ist.
5. Einen wahlweise zur Verfügung stehenden Gerichtsstand am Erfolgsort kann der Sitz des Händlers begründen, wenn der Geschädigte die zum Abschluss des Kaufvertrags und damit die zur Eingehung der ungewollten Vertragspflicht führende Erklärung dort abgegeben hat.
6. Kommt auf der Grundlage des im Bestimmungsverfahren maßgeblichen Vorbringens - hier: Schädigung durch den Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs mit angeblich unzulässiger Abschalteinrichtung - ein Eingehungsbetrug nicht in Betracht, scheidet der Ort der Erfüllungshandlung als derjenige Ort, an dem sich ein durch Eingehungsbetrug entstandener Schaden durch Erfüllung der Vertragspflicht materialisiert, als Anknüpfungspunkt für den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung aus.
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Aktenzeichen 43 O 2273/20) |
Tenor
Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der im Bezirk des Landgerichts Mainz wohnhafte Antragsteller fordert mit seiner zum Landgericht Ingolstadt erhobenen Klage vom 20. August 2020 von der im Bezirk dieses Gerichts ansässigen Beklagten, der Antragsgegnerin zu 1), Ersatz des Schadens, der ihm wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus dem Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs der Marke Audi A6 Avant 3.0 TDI entstanden sein soll. Er behauptet, der im Fahrzeug verbaute, von der Antragsgegnerin zu 1) entwickelte und hergestellte 3,0 Liter-Dieselmotor - angeblich des Typs EA897 bzw. EA896 - werde durch eine Software gesteuert, die aufgrund ihrer Wirkung als unzulässige Abschalteinrichtung zu werten sei. Zwar sei bereits vor dem Kauf des Fahrzeugs aufgrund der Rückrufanordnung des Kraftfahrtbundesamtes ein Software-Update aufgespielt worden. Damit sei diejenige Funktion beseitigt worden, die bewirkt habe, dass eine Prüfungssituation, in der der Abgasausstoß gemessen wird, erkannt und die Abgasaufbereitung für deren Dauer optimiert wurde. Nicht beseitigt worden seien allerdings zwei weitere Funktionen, sog. Thermofenster, die dafür sorgten, dass die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 17 und 33 Grad vollständig bewirkt werde, mithin "rein zufällig" im Temperaturbereich des Prüfstandes. Diese Thermofenster seien als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren, denn sie seien nicht erforderlich, um eine konkrete Gefahr vom Motor abzuwenden. Deshalb müsse trotz erfolgten Software-Updates jederzeit mit einer Stilllegung des Fahrzeugs gerechnet werden. Die Antragsgegnerin zu 1) habe, indem sie den Fahrzeugtyp auf den Markt gebracht habe, vorgetäuscht, dass das Fahrzeug die Voraussetzungen für eine Typengenehmigung erfülle; sie gestehe bis heute nicht öffentlich ein, dass selbst nach Aufspielen des Updates illegale Abschaltvorrichtungen im Fahrzeug verbaut seien. Dieses Verhalten beruhe auf Profitgier und sei als sittenwidrig zu werten.
Mit dieser Begründung verlangt der Antragsteller Zahlung eines Betrags von 35.329,98 EUR, der die Differenz zwischen dem darlehensfinanzierten Kaufpreis und dem berechneten Wertverlust aufgrund Fahrzeugnutzung darstellt, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs.
Mit seiner Klageerweiterung vom 18. November 2020 beansprucht er diesen Betrag, gestützt auf den Vorwurf vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung, auch von der im Bezirk des Landgerichts Düsseldorf ansässigen Antragsgegnerin zu 2), bei der er ausweislich der Anlage zur Klageschrift das Fahrzeug am 19. Dezember 2019 am Ort ihres Sitzes verbindlich bestellt hatte. Er macht geltend, der Verkäuferin sei der Mangel des Fahrzeugs, nämlich das Vorliegen einer Manipulationssoftware, ebenso bekan...