Leitsatz (amtlich)
1. Zum übereinstimmenden Abgabeverlangen an ein anderes Gericht nach Eingang der Akten an das im Mahnbescheidsantrag für das Streitverfahren als zuständig bezeichnete Gericht.
2. Zur Bindungswirkung einer Verweisung auf Grund einer nach Rechtshängigkeit abgeschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung (Bestätigung von BayObLG v. 17.7.2002 – 1Z AR 74/02).
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 696 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Coburg (Aktenzeichen 15 C 1978/02) |
AG Soest (Aktenzeichen 14 C 39/03) |
Tenor
Zuständig ist das AG Coburg.
Gründe
I. Die Klägerin mit Wohnsitz im Amtsgerichtsbezirk Soest macht gegen die in Coburg ansässige Beklagte, eine Haftpflichtversicherung, Schadensersatzansprüche aus einem Autounfall geltend, den eine Versicherungsnehmerin der Beklagten verursacht haben soll. Die Klägerin erwirkte gegen die Beklagte beim Mahngericht (AG Hagen) einen Mahnbescheid über 605,17 Euro, gegen den die Beklagte Widerspruch einlegte. Das Mahngericht gab am 19.12.2002 das Verfahren an das AG Coburg ab, das im Mahnbescheidsantrag als für das Streitverfahren zuständiges Gericht bezeichnet worden war. Die Akten gingen beim AG Coburg am 30.12.2002 ein.
Mit der beim AG Hagen am 16.12.2002 eingegangenen Anspruchsbegründung beantragte die Klägerin die Abgabe an das AG Soest gem. § 32 ZPO, weil im dortigen Bezirk der Unfall stattgefunden haben soll. Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss des AG Coburg vom 21.1.2003 erklärte sich dieses für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das AG Soest; zur Begründung nannte es lediglich die §§ 281, 694 Abs. 5, 38 ZPO. Mit Beschluss vom 14.2.2003, ebenfalls den Parteien mitgeteilt, erklärte sich das AG Soest für unzuständig und gab die Sache an das AG Coburg zurück. Dieses legte mit Verfügung vom 17.3.2003 die Akten dem OLG Bamberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor, das die Akten zuständigkeitshalber an das BayObLG zuleitete.
Mit am 21.2.2003 eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten stimmte die Klägerin einer von der Beklagten am 20.1.2003 vorgeschlagenen Gerichtsstandsvereinbarung zu. Am 26.2.2003/3.3.2003 schlossen die Parteien eine schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung, nach der das AG Soest ausschließlich zuständig sein soll.
II.1. Das BayObLG ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits berufen, weil die beteiligten Gerichte zu einem bayerischen und einem außerbayerischen Oberlandesgerichtsbezirk (OLG Bamberg, OLG Hamm) gehören und das AG Coburg zuerst mit der Sache befasst war (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).
2. Die beiden am Kompetenzstreit beteiligten AG, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse vom 21.1.2003 und 14.2.2003 (§ 281 Abs. 2 S. 2 ZPO) i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO „rechtskräftig” für unzuständig erklärt.
3. Zuständig ist infolge der unabänderlich gewordenen Bindung der Klägerin an die von ihr getroffene Wahl zwischen verschiedenen möglichen Gerichtsständen das AG Coburg als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten (§§ 12, 17 ZPO). Dessen Verweisungsbeschluss vom 21.1.2003 war willkürlich und bindet daher nicht.
a) Für die Entscheidung über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch waren ursprünglich sowohl das AG Coburg als Sitzgericht der Beklagten (§§ 12, 17 ZPO) als auch das AG Soest als Gerichtsstand bei unerlaubter Handlung (§ 32 ZPO, § 20 StVG) zuständig. gem. § 35 ZPO stand der Klägerin insoweit ein Wahlrecht zu. Dieses Wahlrecht hat sie jedoch bereits dadurch ausgeübt, dass sie im Mahnbescheidsantrag gem. § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten (§ 17 ZPO) als das für das Streitverfahren zuständige Gericht bezeichnet hat. Mit Zustellung des entspr. ausgefertigten Mahnbescheids ist die einmal getroffene Wahl für den Kläger verbindlich und unwiderruflich geworden, weil ein übereinstimmend abweichendes Verlangen beider Parteien nach § 696 Abs. 1 S. 1 ZPO (BGH v. 19.1.1993 – X ARZ 845/92, MDR 1993, 576 = NJW 1993, 1273; BayObLG v. 9.3.1993 – 1Z AR 25/93, BayObLGZ 1993, 317 [318] = BayObLGReport 1994, 8 = MDR 1994, 94; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 35 Rz. 2, § 690 Rz. 16) nicht rechtzeitig geltend gemacht worden ist.
b) Die Abgabe an ein „anderes Gericht” (§ 696 Abs. 1 S. 1 ZPO) scheidet nämlich aus, wenn die Abgabe an das im Mahnbescheid bezeichnete Gericht vollzogen ist (BayObLG v. 9.3.1993 – 1Z AR 25/93, BayObLGZ 1993, 317 [318] = BayObLGReport 1994, 8 = MDR 1994, 94; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 696 Rz. 3). Der Sonderfall eines vom Mahngericht nicht beachteten übereinstimmenden Abgabeverlangens (vgl. BayObLG v. 29.6.1994 – 1Z AR 31/94, MDR 1995, 312 = BayObLGReport 1994, 64 = NJW-RR 1995, 635) ist vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin hat zwar die „Abgabe” an das AG Soest schon am 16.12.2002 beantragt, die Beklagte hat jedoch erst am 20.1.2003 die entspr. „Verweisung” an das AG Soest b...