Leitsatz (amtlich)

Keine Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses, der sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass er im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden kann (Verweisung des zuständigen Gerichts aufgrund von diesem angeregter nachträglicher Gerichtsstandsvereinbarung).

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 38 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Beschluss vom 10.04.2003; Aktenzeichen 34 O 1275/03 und 6 O 2077/02)

LG Deggendorf (Aktenzeichen 2 O 249/03)

 

Tenor

Zuständig ist das LG Regensburg.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen die Beklagte, ihre Schwester und Miterbin, zunächst im Mahnverfahren geltend gemacht. Nach Widerspruch der Beklagten gab das Mahngericht das Verfahren an das LG Regensburg ab, bei dem die Beklagte ihren allgemeinen Gerichtsstand hat und das im Mahnbescheidsantrag als für ein streitiges Verfahren zuständig benannt worden war. In der Anspruchsbegründung beantragte die Klägerin jedoch, „das Verfahren … an das zuständige LG Deggendorf abzugeben”. Zu diesem Antrag erklärte die Beklagte mit Anwaltsschriftsatz vom 24.10.2002, er sei für sie nicht nachvollziehbar. Mit Verfügung vom 22.11.2002 wies das LG Regensburg darauf hin, dass das Wahlrecht der Klägerin durch die Benennung des LG Regensburg im Mahnbescheid „grundsätzlich … erloschen” sei, weil § 27 ZPO keinen ausschließlichen Gerichtsstand begründe. Gleichwohl sei es ihm unverständlich, wieso dieser Rechtsstreit vor dem LG Regensburg geführt werden solle. Die Erblasserin habe im Landgerichtsbezirk Deggendorf gewohnt, in dessen Bezirk auch die Klägerin wohne und der Beklagtenvertreter seinen Kanzleisitz habe; in dessen Bezirk liege vermutlich auch das Hofanwesen, um dessen Bewertung der Rechtsstreit geführt werde. Sinnvoll sei es daher nicht, den Rechtsstreit vor dem LG Regensburg auszutragen.

Die Beklagte erklärte zu diesem Hinweis mit Anwaltsschriftsatz vom 20.12.2002, sie wäre damit einverstanden, dieses Verfahren – wie ein Parallelverfahren (Klage einer anderen Schwester gegen die Beklagte) – vor dem LG Deggendorf zu führen. Allerdings gehe sie davon aus, dass eine Prorogation nach Abgabe des Rechtsstreits im Mahnverfahren gem. § 696 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht mehr vorgenommen werden könne. Ferner wies sie darauf hin, dass die Erblasserin nicht im Landgerichtsbezirk Deggendorf, sondern im Landgerichtsbezirk Landshut gewohnt habe, in dem auch die Klägerin wohne. Sollte entgegen ihrer Auffassung Prorogation noch möglich sein und die Klägerin eine entsprechende Vereinbarung wünschen, würde sie an einer entsprechenden Vereinbarung mitwirken.

Die Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 19.2.2003 (erneut) die Verweisung an das LG Deggendorf, nunmehr unter Bezugnahme auf eine beigefügte „Gerichtsstandsvereinbarung” – ein Bestätigungsschreiben der Beklagtenvertreter vom 17.2.2003, wonach auch für das vorliegende Verfahren (wie für das Parallelverfahren) „als Gerichtsstand das LG Deggendorf vereinbart” werde. Auch dieses Schreiben enthält nochmals einen Hinweis „auf die von uns gesehenen rechtlichen Probleme”. Die Beklagte erklärte ferner mit Anwaltsschriftsatz vom 28.2.2003 ihre Zustimmung zu dem Verweisungsantrag vom 19.2.2003.

Mit Beschluss vom 10.4.2003 hat das LG Regensburg den Rechtsstreit „auf Antrag der Klägerin im Einverständnis mit der Beklagten an das sachlich und örtlich zuständige LG Deggendorf verwiesen” und zur Begründung hinzugefügt:

„Im vorliegenden Fall ist auch noch nach Abgabe trotz §§ 696 Abs. 3, 261 Abs. 3 Nr. 2 eine Verweisung möglich, da die Parteien den Gerichtsstand Deggendorf nachträglich prorogiert haben (vgl. Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 38 Rz. 12a bzw. § 696 Rz. 9a a.E.).”

Das LG Deggendorf wies mit Verfügung vom 6.5.2003 die Parteien darauf hin, dass es beabsichtige, das Verfahren nicht anzunehmen, sondern an das LG Regensburg zurückzuverweisen, da die Verweisung willkürlich und nicht nachvollziehbar sei. Das LG Regensburg habe selbst erkannt, dass die Klägerin ein mögliches Wahlrecht bereits ausgeübt habe. Zudem hätten die Beklagtenvertreter darauf aufmerksam gemacht, dass eine Prorogation nach Abgabe des Rechtsstreits im Mahnverfahren nicht mehr möglich sei. Der gleichwohl ergangene Verweisungsbeschluss könne mit juristischen Argumenten nicht begründet werden. Mit Beschluss vom 30.5.2003 lehnte das LG Deggendorf die Übernahme ab und verwies das Verfahren aus den in der Verfügung vom 6.5.2003 angeführten Gründen an das LG Regensburg zurück.

Das LG Regensburg hat mit Beschluss vom 25.6.2003 die Akten dem BayObLG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es vertritt darin die Meinung, der Verweisungsbeschluss vom 10.4.2003 sei nicht willkürlich gewesen. Das LG Regensburg habe sich mit der Frage, ob die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Rechtshängigkeit noch beseitigt werden könne, unter Hinweis auf Kommentarstellen auseinander gesetzt. Daher ...

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