Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrverbot. verfahrensfremd. Ausnahme. Einspruchsbeschränkung. Rechtsfolgenausspruch. Rechtsbeschwerde. Staatsanwaltschaft. Wiederholungstäter. Vorahndung. Vorahndungslage. Warnfunktion. Vollstreckungsaufschub. Pflichtenverstoß. beharrlich. Regelfall. Handyverstoß. Prävention. Einwirkung. Gesamtbetrachtung. Privilegierung. Rechtsanwendungsgleichheit. Wechselwirkung. Härtefall. Existenzgefährdung. Freibrief
Leitsatz (amtlich)
Die Annahme, dass die Vollstreckung eines verfahrensfremden Fahrverbotes zwischen Tat und Urteil eine so weitgehende erzieherische Wirkung entfalten könnte, dass ein weiteres Fahrverbot entbehrlich wird, liegt bei einem Wiederholungstäter regelmäßig fern. Dem steht nicht entgegen, dass im Falle gemeinsamer Verhandlung und Aburteilung der zugrunde liegenden Verkehrsordnungswidrigkeiten nur ein Fahrverbot zu verhängen gewesen wäre; aus der am 24.08.2017 in Kraft getretenen Neuregelung des § 25 Abs. 2b StVG ergibt sich vielmehr, dass mehrere Fahrverbote generell nacheinander vollstreckt werden, sich also nach dem Willen des Gesetzgebers in ihrer erzieherischen Wirkung nicht gegenseitig "vertreten" sollen.
Normenkette
StPO §§ 353, 460; OWiG § 67 Abs. 2, § 79 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1; StVG § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, Abs. 2a, 2b; StVO § 23 Abs. 1a; BKatV § 4 Abs. 2 Sätze 1-2
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 15.01.2021 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 20.08.2020 wurde gegen den Betroffenen wegen Benutzens eines elektronischen Geräts, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient, als Führer eines Kraftfahrzeugs eine Geldbuße in Höhe von 200 Euro sowie wegen des beharrlichen Pflichtenverstoßes ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt. Der Betroffene legte gegen diesen Bußgeldbescheid Einspruch ein, welcher in der Hauptverhandlung vom 10.12.2020 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde. Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen sodann mit Beschluss vom 15.01.2021 zu einer Geldbuße von 500 Euro. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbotes sah es ab, weil ein solches zur Einwirkung auf den Betroffenen nicht (mehr) geboten sei, nachdem dieser aktuell ein zweimonatiges Fahrverbot aus einem anderen Verfahren verbüße. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und hat in ihrer Stellungnahme vom 23.03.2021 beantragt, die Entscheidung des Amtsgerichts vom 15.01.2021 im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Hierzu hat sich die Verteidigung mit Schriftsatz vom 29.04.2021 geäußert.
II.
Die statthafte ( § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG ) sowie auch im übrigen zulässige und wegen der in der Hauptverhandlung vom 10.12.2020 wirksam erklärten Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen betreffende Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich als begründet.
1. Wie das Amtsgericht richtig erkannt hat, lagen aufgrund der Vorahndungslage die Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines gesetzlichen Regelfalles vor, § 25 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV .
a) Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung ist von Beharrlichkeit im Sinne der §§ 24 , 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative StVG auszugehen bei Verkehrsverstößen, die zwar objektiv (noch) nicht zu den groben Zuwiderhandlungen zählen (Erfolgsunwert), die aber durch ihre zeit- und sachnahe wiederholte Begehung erkennen lassen, dass es dem Betroffenen subjektiv an der für die Straßenverkehrsteilnahme notwendigen rechtstreuen Gesinnung und Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt, so dass er Verkehrsvorschriften unter Missachtung einer oder mehrerer Vorwarnungen wiederholt verletzt (Handlungsunwert). Auch eine Häufung nur leicht fahrlässiger Verstöße kann unter diesen Umständen mangelnde Rechtstreue offenbaren. Dem Zeitmoment kommt, wie sich der Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV entnehmen lässt, Bedeutung für das Vorliegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes insoweit zu, als nicht nur der Zeitablauf zwischen dem jeweiligen Eintritt der Rechtskraft der Vorahndungen, sondern auch zwischen den jeweiligen Tatzeiten (Rückfallgeschwindigkeit) zu berücksichtigen ist. Daneben sind insbesondere Anzahl, Tatschwere und Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße im Ei...