Leitsatz (amtlich)
Wird der durch einstweilige Anordnung gemäß § 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1846 BGB, § 70h FGG vorläufig Untergebrachte vor Ablauf der festgesetzten Höchstdauer von sechs Wochen entlassen, darf das Beschwerdegericht nicht so kurzfristig entscheiden, daß der Betroffene keine Gelegenheit hat, seine sofortige Beschwerde mit dem Ziel weiter zu verfolgen, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung festzustellen.
Normenkette
BGB § 1908i Abs. 1 S. 1, § 1846; FGG § 70h; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 14.06.1999; Aktenzeichen 13 T 9720/99) |
AG München (Aktenzeichen 708 XVII 3359/99-UL 737/99) |
Tenor
I. Der Beschluß des Landgerichts München I vom 14. Juni 1999 wird aufgehoben, soweit die Hauptsache für erledigt erklärt wurde.
II. Die Sache wird insoweit zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Durch einstweilige Anordnung traf das Amtsgericht am 21.5.1999 mit sofortiger Wirksamkeit folgende Maßnahmen:
- Anordnung der vorläufigen Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 2.7.1999;
- Anordnung der vorläufigen zeitweisen Freiheitsbeschränkung des Betroffenen durch 5-Punkt-Fixierung;
- vorläufige Einwilligung in die Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen gemäß Behandlungsplan bis 2.7.1999, längstens bis zur Bestellung eines Betreuers.
Gegen den Beschluß legte der Betroffene mit Schreiben vom 31.5.1999 am 1.6.1999 sofortige Beschwerde ein.
Am 11.6.1999 wurde der Betroffene aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen.
Daraufhin hat das Landgericht mit Beschluß vom 14.6.1999 die Hauptsache für erledigt erklärt und die einstweilige Anordnung zur Beseitigung des von ihr noch ausgehenden Rechtsscheins aufgehoben.
Mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde macht der Betroffene geltend, daß die Unterbringungsmaßnahme „ungerechtfertigt” gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Der Betroffene ist beschwerdeberechtigt, da er dadurch, daß das Landgericht die Hauptsache für erledigt erklärt und nicht in der Sache entschieden hat, im Sinne von § 29 Abs. 4, § 20 Abs. 1 FGG in seinen Rechten beeinträchtigt ist (vgl. BayObLGZ 1993, 82/83). Die zweiwöchige Beschwerdefrist (§ 70m Abs. 1, § 70h Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3, § 70g Abs. 3 Satz 1 und 2, § 29 Abs. 4 i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 1 FGG; vgl. BGHZ 42, 223) hat mangels Zustellung der landgerichtlichen Entscheidung an den Betroffenen nicht zu laufen begonnen (§ 22 Abs. 1 Satz 2, § 16 Abs. 2 Satz 1 FGG).
Die sofortige weitere Beschwerde hat aus formellen Gründen Erfolg.
1. Im Hinblick darauf, daß der Betroffene während des Beschwerdeverfahrens aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen worden war, war zwar für eine Sachentscheidung des Landgerichts über die sofortige Beschwerde des Betroffenen insoweit kein Raum mehr, als das Rechtsmittel mit dem Ziel der Beendigung der vorläufigen Unterbringung eingelegt worden war.
Der Betroffene war jedoch berechtigt, mit dem Rechtsmittel nunmehr das Ziel zu verfolgen, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Freiheitsentziehung festzustellen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein entsprechendes Feststellungsinteresse auch einem Betroffenen zuzubilligen, der – wie hier – durch einstweilige Anordnung gemäß § 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1846 BGB, § 70h FGG vorläufig untergebracht, jedoch vor Ablauf der festgesetzten Höchstdauer von sechs Wochen (§ 70h Abs. 2 Satz 1 FGG) aus der Unterbringung entlassen worden war (vgl. BVerfG NJW-FER 1998, 163; NJW 1998, 2432; BayObLGZ 1999, 24 = FamRZ 1999, 794).
2. Das Landgericht hat so kurzfristig entschieden, daß der Betroffene keine Gelegenheit hatte, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Dadurch hat es den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Dieser Anspruch, der auch in Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten ist (BVerfG NJW 1994, 1053), verpflichtet das Gericht u.a., einem Beteiligten die Ausübung seiner Verfahrensrechte zu ermöglichen (vgl. Keidel/Kayser FGG 14. Aufl. § 12 Rn. 122).
Die angefochtene Entscheidung beruht auf dem Verfahrensfehler, da aus der sofortigen weiteren Beschwerde des Betroffenen hervorgeht, daß er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung anstrebt. Die Aufhebung der einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts durch das Landgericht ist nicht aufgrund einer Überprüfung der formellen und materiellen Voraussetzungen der Unterbringungsmaßnahme erfolgt, sondern lediglich zur Beseitigung des von ihr noch ausgehenden Rechtsscheins.
3. Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses, soweit die Hauptsache für erledigt erklärt wurde, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Karmasin, Dr. Plößl, Dr. Schreieder
Fundstellen
Haufe-Index 1076915 |
FamRZ 2000, 248 |
NJW-RR 2001, 724 |
BayObLGR 1999, 87 |