Leitsatz (amtlich)

1. Fehlende Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses, wenn das verweisende Gericht sowohl als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten als auch des Erfüllungsortes zuständig ist. Der Willkürcharakter einer solchen Verweisung entfällt nicht dadurch, dass sie einem übereinstimmenden Verlangen beider Parteien entspricht, wenn der Verweisungsantrag auf dem unzutreffenden Hinweis des Gerichts beruht (im Anschluss zu BGH v. 10.9.2002, X ARZ 299/02).

2. Ging dem Rechtsstreit ein Mahnverfahren voraus, so ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Zuständigkeitsprüfung der Eingang der Akten bei dem im Mahnbescheidsantrag als für das Streitverfahren zuständig bezeichneten Gericht.

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 1 S. 4, § 696 Abs. 1 S. 4

 

Verfahrensgang

AG Hamburg-Altona (Aktenzeichen 317 C 567/02)

 

Tenor

Zuständig ist das AG Bamberg.

 

Gründe

I. Die Klägerin betreibt ein Reisebüro und macht gegen den Beklagten Stornierungskosten i.H.v. 901,86 Euro nach Reiserücktritt geltend. Sie erwirkte über diesen Betrag einen Mahnbescheid, der dem Beklagten an seiner Bamberger Adresse am 12.3.2002 zugestellt wurde. Am 12.4.2002 erhob der Beklagte Widerspruch, worauf das Mahngericht die Akte an das im Mahnbescheidsantrag für das streitige Verfahren benannte AG Bamberg abgab, bei dem die Akten am 29.5.2002 eingingen. Am 12.8.2002 zog der Beklagte von Bamberg nach Hamburg um, wo er im Amtsgerichtsbezirk Hamburg-Altona seinen Wohnsitz begründete. Dort wurde ihm am 25.9.2002 die Anspruchsbegründung der Klägerin vom 15.8.2002 zugestellt. Der Beklagte rügte die örtliche Zuständigkeit des AG Bamberg mit der Begründung, er habe vor Zustellung der Anspruchsbegründung seinen allgemeinen Gerichtsstand in Hamburg begründet. Nach entsprechender Anfrage durch das AG Bamberg stellte die Klägerin Verweisungsantrag zum AG Hamburg-Altona. Mit Beschluss von 17.10.2002 erklärte sich das AG Bamberg für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das AG Hamburg-Altona. Dieses wies die Parteien mit Schreiben vom 31.10.2002 darauf hin, dass es sich nicht an den Verweisungsbeschluss gebunden halte, weil das AG Bamberg seine Zuständigkeit als Gericht des Erfüllungsortes gem. § 29 ZPO nicht hätte übergehen dürfen. Mit Beschluss von 12.11.2002 erklärte sich das AG Hamburg-Altona für unzuständig und legte die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem OLG Bamberg vor, das die Akten zuständigkeitshalber an das BayObLG weiterleitete.

II. 1. Das BayObLG ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits berufen, weil die beteiligten Gerichte zu einem bayerischen und einem außerbayerischen Oberlandesgerichtsbezirk gehören und das AG Bamberg zuerst mit der Sache befasst war (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Die beiden am Kompetenzstreit beteiligten AG, von denen nach Sachlage eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse (§ 281 Abs. 2 S. 2 ZPO) i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO „rechtskräftig” für unzuständig erklärt. Der Beschluss des AG Hamburg-Altona ist sinngemäß als Rückverweisung an das AG Bamberg zu verstehen, da in den Gründen der Standpunkt vertreten wird, dieses sei ungeachtet des Verweisungsbeschlusses zuständig geblieben.

3. Zuständig ist das AG Bamberg.

a) Das AG Bamberg ist für die Klage sowohl als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten gem. §§ 12, 13 ZPO als auch als Gericht des vertraglichen Erfüllungsortes gem. § 29 ZPO zuständig.

aa) Wird nach Widerspruch im Mahnverfahren die Sache an das im Mahnbescheidsantrag für das Streitverfahren als zuständig bezeichnete Gericht abgegeben, so wird mit Eingang der Akten beim Empfangsgericht der Rechtsstreit dort anhängig (§ 696 Abs. 1 S. 4 ZPO). Dieser Zeitpunkt ist maßgeblich für die Beurteilung der Zuständigkeit (h.M.; Thomas/Putzo/Hüßtege, 24. Aufl., § 696 ZPO Rz. 25; Zöller/Vollkommer, 23. Aufl., § 696 ZPO Rz. 7). Da der Beklagte im Zeitpunkt des Akteneingangs bei dem als Streitgericht benannten AG Bamberg am 29.5.2002 noch seinen Wohnsitz in dessen Bezirk hatte, war beim AG Bamberg für den Beklagten der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes gem. §§ 12, 13 ZPO gegeben. Der spätere Wohnsitzwechsel (12.8.2002) konnte daran nichts ändern (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).

bb) Außerdem ist beim AG Bamberg der Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes gem. § 29 ZPO gegeben. Der Beklagte hatte im Zeitpunkt des von der Klägerin behaupteten Vertragsschlusses am 12.1.2001 seinen Wohnsitz in Bamberg. Dort war demnach der gesetzliche Erfüllungsort für die aus dem behaupteten Reisevertrag geschuldeten Kosten begründet. Auch hier kommt es auf den späteren Wohnsitzwechsel des Beklagten nicht an (vgl. BayObLG v. 31.1.1996 – 1Z AR 62/95, BayObLGReport 1996, 23 = NJW-RR 1996, 956; Zöller/Vollkommer, 23. Aufl., § 29 ZPO Rz. 23, 24).

b) Die Zuständigkeit des AG Hamburg-Altona folgt auch nicht aus einer Bindung an den Verweisungsbeschluss des AG Bamberg vom 17.10.2002 gem. § 281 A...

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