Leitsatz (amtlich)
Legt ein durch einen Rechtsanwalt vertretener Beteiligter in einer Wohnungseigentumssache die sofortige weitere Beschwerde beim OLG statt beim BayObLG ein, ist die Fristversäumung auch dann als von dem Beteiligten verschuldet anzusehen, wenn das OLG das Rechtsmittel, obwohl dies möglich gewesen wäre, nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist an das zuständige Gericht weitergeleitet hat. Denn eine „nachwirkende Fürsorgepflicht”, auf die eine solche Verpflichtung gestützt werden könnte, besteht für das OLG als vorher nicht mit der Sache befasstes Gericht nicht.
Verfahrensgang
LG Augsburg (Beschluss vom 01.10.2003; Aktenzeichen 7 T 4718/02, 7 T 4719/02) |
AG Landsberg a. Lech (Aktenzeichen 1 UR II 5/01) |
Tenor
I. Der Antragsgegnerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde gegen den Beschluss des LG Augsburg vom 1.10.2003 versagt.
II. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin gegen diesen Beschluss wird verworfen.
III. Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen; außergerichtliche Kosten sind im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
IV. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsteller sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die von der Antragsgegnerin verwaltet wird.
Durch Beschluss vom 1.10.2003 hat das LG einen Beschluss des AG abgeändert und festgestellt, dass die Antragsgegnerin den Antragsstellern zum Ersatz des ihnen durch die Verjährung ihrer Ansprüche gegen die Firma G. GmbH entstandenen Schadens verpflichtet ist. Der Beschluss wurde der Antragsgegnerin am 14.10.2003 zugestellt. Am 22.10.2003 hat sie beim OLG gegen den Beschluss sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 6.11.2003 wurde sie vom OLG auf die Zuständigkeit des BayObLG hingewiesen. Daraufhin hat die Antragsgegnerin am 19.11.2003 beim BayObLG sofortige weitere Beschwerde eingelegt und beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist zu gewähren.
II. Das Wiedereinsetzungsgesuch der Antragsgegnerin ist unbegründet. Die sofortige weitere Beschwerde ist daher als unzulässig zu verwerfen.
1. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht innerhalb der am 28.10.2003 abgelaufenen Frist von zwei Wochen bei dem zur Entscheidung für das Rechtsmittel zuständigen BayObLG eingegangen (§ 45 Abs. 1 WEG, § 22 Abs. 1, § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1, § 199 Abs. 1 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumnis kann der Antragsgegnerin nicht gewährt werden, weil sie nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist einzuhalten (§ 22 Abs. 2 S. 1 FGG); dabei muss sich die Antragsgegnerin das Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 22 Abs. 2 S. 2 FGG).
2. Die Antragsgegnerin ist der Meinung, ihr Verschulden an der Fristversäumnis wirke sich deshalb nicht mehr aus, weil das OLG verpflichtet und auch in der Lage gewesen wäre, das Rechtsmittel innerhalb der Frist an das zuständige Rechtsmittelgericht weiter zu leiten; aus dem Beschwerdeschriftsatz sei ohne weiteres erkennbar gewesen, dass es sich um ein Rechtmittel in einer Wohnungseigentumssache handelte.
(1) Dieser Sachvortrag ist nicht geeignet, die Fristversäumnis der Antragsgegnerin als unverschuldet erscheinen zu lassen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Antragsgegnerin angeführten Entscheidungen des BVerfG (BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173) und des BGH (BGH NJW 2000, 737).
Der BGH hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerfG ausgeführt, das schwerwiegende Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten, das sich der vertretene Beteiligte wie eigenes Verschulden zurechnen lassen müsse, werde nicht dadurch ausgeräumt, dass ein Beschwerdeschriftsatz nicht innerhalb der Beschwerdefrist an das zuständige Gericht weiter geleitet worden sei. Eine generelle Fürsorgepflicht des angegangenen, für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Gerichts, durch Hinweise oder geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern, bestehe nicht. Nach der Rspr. des BVerfG dürfe sich die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung und richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, nicht nur an dem Interesse der Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern müsse auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden müsse. Danach müsse insb. dem rechtskundigen Verfahrensbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten für fristgebundene Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Das BVerfG habe ausgeführt, dass sich ein etwaiges Verschulden des Verfahrensbevollmäc...