BayObLG Beschluss vom 11.02.1998 - 3Z AR 6/98

Leitsatz (amtlich)

1. Vor der Abgabe eines Betreuungsverfahrens darf die Anhörung des Betroffenen unterbleiben, wenn dieser aufgrund seiner psychischen Erkrankung oder seiner geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, zu begreifen, daß in Zukunft ein anderes Gericht für ihn tätig werden soll.

2. Im Abgabeverfahren ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht erforderlich.

Normenkette

FGG §§ 65a, 46, 67

Verfahrensgang

AG Kelheim (Aktenzeichen 2 AR 6/98)

AG Landshut (Aktenzeichen XVII 268/97)

Tenor

Die Abgabe des Betreuungsverfahrens an das Amtsgericht Kelheim ist gerechtfertigt.

Tatbestand

I.

Das Amtsgericht Landshut führt seit 21.10.1997 für den Betroffenen ein Betreuungsverfahren. Zur Betreuerin ist dessen Stieftochter bestellt. Weil der Betroffene seit November 1997 in einem Altenheim im Bezirk des Amtsgerichts Kelheim lebt, beabsichtigt das Amtsgericht Landshut, das Verfahren an das Amtsgericht Kelheim abzugeben. Den Betreuten hörte das Amtsgericht Landshut nicht an, da dieser infolge seiner geistigen Behinderung das Wesen einer Abgabe nicht erfassen kann. Die Betreuerin hat der Abgabe widersprochen. Das Amtsgericht Kelheim hat sich zur Übernahme des Verfahrens bereit erklärt.

Das Amtsgericht Landshut hat die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Entscheidungsgründe

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung zuständig, weil die beteiligten Amtsgerichte in verschiedenen bayerischen Landgerichtsbezirken liegen (§ 65 a Abs. 1 Satz 1, § 46 Abs. 2 Satz 1, § 199 Abs. 2 Satz 2 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG)

2. Die Voraussetzungen für eine solche Entscheidung sind gegeben, da die Betreuerin die Zustimmung zur Abgabe des Verfahrens verweigert hat (§ 65 a Abs. 1 Satz 1, § 46 Abs. 2 Satz 1 FGG).

a) Der Entscheidung über die Abgabe steht nicht entgegen, daß das Amtsgericht Landshut den Betroffenen nicht gemäß § 65 a Abs. 2 Satz 1 FGG angehört hat. Das Vormundschaftsgericht darf nämlich von der Anhörung absehen, wenn der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung oder geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, zu begreifen, daß in Zukunft ein anderes Gericht für ihn tätig werden soll (vgl. Bienwald Betreuungsrecht 2. Aufl. § 65 a FGG Rn. 14; Knittel BtG § 65 a Rn. 12; Bassenge/Herbst FGG/RPflG 7. Aufl. § 65 a FGG Rn. 5). Bei einem solchen Betroffenen kann die mit der Anhörung gemäß § 65 a Abs. 2 Satz 1 FGG angestrebte Verstärkung seiner verfahrensrechtlichen Stellung nicht erreicht werden (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1993, 351).

b) Das Amtsgericht Landshut war auch nicht verpflichtet, dem Betroffenen gemäß § 67 FGG einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Diese Bestimmung gilt nur für Betreuungssachen im Sinne von §§ 1896–1905, 1907–1908i BGB (vgl. Bassenge/Herbst § 67 FGG Rn. 1; Keidel/Kuntze FGG 13. Aufl. § 67 Rn. 1 u. § 65 Rn. 1; Bienwald § 67 Rn. 21; Jürgens BtR § 67 FGG Rn. 1). Dazu gehört das Verfahren der Abgabe nicht. § 67 FGG ist auf das Abgabeverfahren auch nicht entsprechend anwendbar, weil es nur die Zuständigkeitsbestimmung, aber keine Sachentscheidung zum Gegenstand hat.

3. Nach den für die Abgabe eines Betreuungsverfahrens nach §§ 65 a, 46 FGG entwickelten Grundsätzen (vgl. BayObLGZ 1996, 274/276 m.w.N.; BayObLG FamRZ 1997, 439) ist der angestrebte Zuständigkeitswechsel aus Zweckmäßigkeitsgründen gerechtfertigt. Der Betroffene hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt nunmehr im Bezirk des Amtsgerichts Kelheim. Der gesetzlichen Regelung des § 65 a Abs. 1 Satz 2 FGG entsprechend ist davon auszugehen, daß dieses Gericht das Verfahren rationeller führen kann. Anhaltspunkte dafür, daß die Belange des Betroffenen beeinträchtigt werden könnten oder die Amtsführung der Betreuerin nennenswert erschwert würde, sind nicht ersichtlich. Der Verkehr zwischen Betreuerin und Vormundschaftsgericht kann, wie bisher, überwiegend schriftlich oder telefonisch abgewickelt werden.

Unterschriften

Karmasin, Ammon, Dr. Schreieder

Fundstellen

Haufe-Index 1083800

FamRZ 1998, 1181

BayObLGZ 1998, 38

BayObLGZ 1998, Nr. 10

ZAP 1998, 302

MDR 1998, 540