Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung. Verfolgungsverjährung. Verjährungsfrist. Verjährungsunterbrechung. Unterbrechenswirkung. Betroffenenanhörung. Anordnung. Erlass. Bußgeldbescheid. Zustellung. Betroffener. Verteidiger. Vollmacht. Verteidigervollmacht. Zustellungsvollmacht. Vollmachtsurkunde. Empfangsvollmacht. Fettdruck. Streichung. Ausnahme. Rechtssicherheit. Rechtsmissbrauch. Verjährungsfalle. Unwirksame Einschränkung der Verteidigervollmacht für Zustellungen im Bußgeldverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Wahlverteidiger, dessen Verteidigervollmacht sich im Zeitpunkt einer Zustellung (hier des Bußgeldbescheids) bei den Akten befindet, gilt auch im Bußgeldverfahren nach der § 145a Abs. 1 StPO entsprechenden Bestimmung des § 51 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz OWiG kraft Gesetzes und damit unabhängig vom Willen des Betroffenen als zustellungsbevollmächtigt, weshalb sich eine in die Vollmacht ausdrücklich aufgenommene Ausnahme für die "Empfangsvollmacht" ebenso als unwirksam erweist wie eine entsprechende Streichung innerhalb einer an sich unbeschränkten Vollmachtsurkunde (u.a. Anschluss an BayObLG, Beschl. v. 04.07.1969 - 1 b St 161/69 = BayObLGSt 1969, 110, 111; OLG Dresden, Beschl. v. 10.05.2005 - Ss [OWi] 309/05 = NStZ-RR 2005, 244 = DAR 2005, 572 = VRS 108 [2005], 439; OLG Köln, Beschl. v. 02.04.2004 - Ss 126/04 = NJW 2004, 3196 = NStZ 2004, 647 = NZV 2004, 595 = VRS 107 [2004], 295 und OLG Hamm, Beschl. v. 18.03.2019 - 1 RBs 42/19 bei juris).

2. Der Einwand des Eintritts von Verfolgungsverjährung bereits vor Erlass des angefochtenen Bußgeldurteils ist im Zulassungsverfahren wegen § 80 Abs. 5 OWiG nur dann zu prüfen, wenn es gerade wegen dieser Frage geboten ist, unter Berücksichtigung der Zweckkriterien des § 80 Abs. 1 und 2 OWiG die Rechtsbeschwerde zuzulassen (u.a. Anschluss an OLG Hamm, Beschl. v. 26.06.2008 - 4 Ss OWi 412/08 und OLG Schleswig, Beschl. v. 24.03.2004 - 1 Ss OWi 43/04, jeweils bei juris).

 

Normenkette

StPO § 145a Abs. 1, § 473 Abs. 1 S. 1; OWiG § 33 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 9, § 46 Abs. 1, § 51 Abs. 3 S. 1 Hs. 1, § 80 Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, Abs. 4 Sätze 1, 3-4, Abs. 5

 

Tenor

  • I.

    Der Antrag des Betroffenen, gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 13. Juni 2019 die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wird als unbegründet verworfen.

  • II.

    Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

1. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug ( § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO ; Tatzeit: 16.11.2018) zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt. Der hiergegen in zulässiger Weise angebrachte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Nach § 80 Abs. 1 und 2 Nr. 1 OWiG darf die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, weshalb der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 4 Sätze 1 und 3 OWiG zu verwerfen ist. Damit gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen (§ 80 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 4 OWiG).

2. Zugleich mit Blick auf die zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 09.01.2020 abgegebene Stellungnahme der Verteidigung vom 04.02.2020 bemerkt der Senat ergänzend :

a) Entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung ist - wovon das Amtsgericht zutreffend ausgeht - keine Verfolgungsverjährung eingetreten, nachdem die sog. ,kurze' Verjährungsfrist von drei Monaten zunächst am 27.11.2018 gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG (Anordnung der Betroffenenanhörung) und sodann durch Erlass des Bußgeldbescheids am 11.02.2019 und seiner Zustellung an den Verteidiger des Betroffenen am 13.02.2019 gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG jeweils wirksam unterbrochen wurde. Insbesondere scheitert die Annahme der Unterbrechenswirkung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG nicht etwa daran, dass der Bußgeldbescheid - wie die Verteidigung meint - aufgrund der sich in den Akten befindlichen Vollmacht und der dort ausdrücklich aufgenommenen und durch Fettdruck hervorgehobenen Ausnahme u.a. für die "Empfangsvollmacht [...] für [...] Bußgeldbescheide" (konstitutiv) ausgeschlossen und der Bußgeldbescheid deshalb nicht wirksam an die Verteidigung zugestellt werden konnte. Vielmehr erweist sich diese Ausnahme mit der der Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO entsprechenden Bestimmung des § 51 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz OWiG auch im Bußgeldverfahren insoweit als unvereinbar und deshalb ohne weiteres als unwirksam, als mit ihr (oder auch durch entsprechende Streichungen innerhalb einer an sich unbeschränkten Vollmachtsurkunde) von vorneherein ein vollständiger Entzug oder - wie hier - eine Begrenzung des vom Willen des Betroffenen unabhängigen, weil gesetzlichen Umfangs der sich allein aus der Stellung des Verteidigers - hier als Wahlverteidiger - ergebenden Zustellungsvollmacht he...

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