Entscheidungsstichwort (Thema)

Freiheitsentziehungssache

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Freiheitsentziehungen gemäß § 70 Abs. 4 Satz 2 AuslG ist bzw. bleibt die sofortige Beschwerde nach Hauptsacheerledigung mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit zulässig.

2. Auch eine solche Freiheitsentziehung unterliegt in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

 

Normenkette

BGSG § 40 Abs. 1; AuslG § 70 Abs. 4; GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Bayreuth (Aktenzeichen XIV B 118/00)

LG Bayreuth (Aktenzeichen 15 T 164/00)

 

Tenor

I. Der Beschluß des Landgerichts Bayreuth vom 11. Dezember 2000 wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, daß die Anordnung der Ingewahrsamnahme des Betroffenen durch den Beschluß des Amtsgerichts Bayreuth vom 22. November 2000 nicht rechtmäßig erfolgt ist.

III. Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Stadt Bayreuth auferlegt.

IV. Der Geschäftswert wird auf 5.000 DM festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Betroffene, der behauptet, ruandischer Staatsangehöriger zu sein, reiste nach seinen Angaben im November 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der im Dezember 1999, bestandskräftig seit 4.1.2000, abgelehnt wurde. Die Ausländerbehörde bereitet seither die Abschiebung des Betroffenen vor. Da die Botschaft von Ruanda mitteilte, der Betroffene sei nicht ruandischer Staatsangehöriger, erließ die Ausländerbehörde am 24.5.2000 gegenüber dem Betroffenen folgenden Bescheid:

1. Sie sind verpflichtet, bis zum 30.06.2000 der Ausländerbehörde einen gültigen Paß bzw. Paßersatz vorzulegen.

2. a) Sollten Sie über ein solches Dokument nicht verfügen, haben Sie binnen gleicher Frist bei der Botschaft Ihres Heimatstaates während der Geschäftszeiten persönlich vorzusprechen und einen zur Rückkehr in Ihr Heimatland berechtigenden Paß bzw. Paßersatz (Heimreisedokument) zu beantragen.

b) Sie haben das ausgestellte Heimreisedokument der Ausländerbehörde zu übergeben.

3. Für den Fall, daß Sie binnen der genannten Frist weder der Ausländerbehörde ein Heimreisedokument vorlegen noch ihr gegenüber den Nachweis erbringen, dass Sie bei der Botschaft Ihres Heimatlandes persönlich vorgesprochen und ein Heimreisedokument beantragt haben, wird Ihnen die zwangsweise Vorführung bei der Botschaft der Republik Mali … oder, falls die Vertretung der Republik Mali Außentermine in Bayern oder anderen Bundesländern abhält, am Ort des Außentermins statt am Sitz der Vertretung angedroht. Im übrigen wird Ihnen die zwangsweise Vorführung bei allen in Betracht kommenden sonstigen afrikanischen Auslandsvertretungen angedroht.

4. Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 und 2 des Bescheides wird angeordnet.

Gegen diesen Bescheid erhob der Betroffene Widerspruch und, als die Ausländerbehörde darauf hinwies, daß die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, Klage zum Verwaltungsgericht.

Da der Betroffene weder ein Heimreisedokument noch eine Bestätigung vorlegte, daß er ein solches beantragt habe, organisierte die Ausländerbehörde nach Fristablauf Vorsprachetermine bei den Vertretungen von Ruanda, Senegal und Mali. Der Betroffene nahm diese Termine im August und September 2000 wahr, ohne daß hierbei seine Staatsangehörigkeit hätte geklärt werden können.

Am 24.10.2000 wurde dem Betroffenen ein Schreiben der Ausländerbehörde vom selben Tage ausgehändigt, in dem ihm mitgeteilt wurde, für ihn sei eine weitere Botschaftsvorsprache in Bonn bzw. Dortmund vereinbart worden. Die Vorsprachen fänden am Mittwoch, 25.10.2000 in Begleitung statt. Er habe sich am 25.10.2000 um 04.45 Uhr früh am Hauptbahnhof B. zur Fahrt nach Bonn bzw. Dortmund einzufinden.

Noch am 24.10.2000 erklärte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen fernmündlich gegenüber der Ausländerbehörde, daß er dem Betroffenen, der grundsätzlich weiterhin bereit sei, bei Botschaftsterminen freiwillig vorzusprechen, geraten habe, den Termin am nächsten Tag nicht wahrzunehmen, da er, der Verfahrensbevollmächtigte, auf einer schriftlichen Benachrichtigung mindestens eine Woche vor dem Termin bestehe. Der Betroffene nahm den Termin nicht wahr.

Mit Schreiben vom 6.11.2000 kündigte die Ausländerbehörde die zwangsweise Vorführung des Betroffenen bei allen in Betracht kommenden Botschaften an, falls der Betroffene nicht bis 20.11.2000 ein Heimreisedokument oder eine Bestätigung, ein solches beantragt zu haben, vorlege. Nachdem die Frist ergebnislos abgelaufen war, beantragte die Ausländerbehörde, zum Zweck der Vorführung des Betroffenen bei Botschaften in Bonn Haft für die Dauer von drei Tagen anzuordnen.

Mit Beschluß vom 22.11.2000 ordnete das Amtsgericht an, daß der Betroffene zur zwangsweisen Durchsetzung seines persönlichen Erscheinens bei den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitze, mit sofortiger Wirksamkeit bis längstens 24.11.2000, 24.00 Uhr, in Gewahrsam zu nehmen sei.

Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 11.12.2000 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß wendet sich...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?