Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im vorläufigen Verfahren. Anhörung des sorgeberechtigten Elternteils im Beschwerdeverfahren. Erziehungsungeeignetheit der sorgeberechtigten Mutter
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage der Anhörung des sorgeberechtigten Elternteils durch das Beschwerdegericht (beauftragter Richter) im vorläufigen Verfahren zur Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts.
2. Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch vorläufige Anordnung, wenn sich die Mutter in einem seelischen Ausnahmezustand befindet und gedroht hat, das Kind beim nächsten Selbstmordversuch „mitzunehmen”.
Normenkette
BGB § 1666; FGG §§ 25, 50a
Verfahrensgang
LG Würzburg (Beschluss vom 11.09.1998; Aktenzeichen 3 T 429/98) |
AG Würzburg (Aktenzeichen X 25/98) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Würzburg vom 11. September 1998 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 5.000 DM festgesetzt.
III. Der Beteiligten zu 1 wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde rückwirkend zum 1.10.1998 Prozeßkostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin R. beigeordnet.
IV. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Würzburg vom 22. September 1998 wird verworfen.
Tatbestand
I.
Die inzwischen 50 Jahre alte Beteiligte zu 1, eine Ärztin, ist die Mutter des 1988 geborenen Kindes. Der Vater des Kindes ist seit mehreren Jahren verstorben. Das Kind wuchs bei der allein sorgeberechtigten Mutter auf.
Am 5.11.1996 wurde das Kind mit einer Stichwunde in der Backe und Verletzungen am Rücken in eine Kinderklinik eingeliefert. Nach Ansicht des behandelnden Arztes deuteten die Verletzungen auf Mißhandlungen hin. Daraufhin entzog das Vormundschaftsgericht auf Anregung des Kreisjugendamts der Mutter durch vorläufige Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und übertrug es dem Kreisjugendamt als Pfleger. Die Mutter befand sich in der Folgezeit einige Wochen in einer psychiatrischen Klinik. Auf ihre Beschwerde hob das Landgericht am 17.1.1997 die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts auf, erteilte der Mutter jedoch Auflagen (Überprüfungsmöglichkeit hinsichtlich des Zustands des Kindes durch das Jugendamt, regelmäßige ärztliche Besuche des Kindes). In den nächsten Monaten lebte das Kind weiterhin bei seiner Mutter, wurde von dieser jedoch wegen ihres gesundheitlich labilen Zustands häufig bei befreundeten Personen untergebracht.
Mit Schreiben vom 29.1.1998 hat das Kreisjugendamt erneut angeregt, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Mutter befinde sich in einem psychischen Ausnahmezustand. Eine Zusammenarbeit mit ihr zum Wohl des Kindes sei nicht mehr möglich, sie lehne alle Hilfsangebote der Jugendhilfe ab. Bei dem Kind sei aufgrund der ständig wechselnden Betreuungspersonen eine Betreuungskontinuität nicht mehr gewährleistet. Es werde von der Mutter unter Druck gesetzt; diese versuche, Kontakte des Kindes zu Vertrauenspersonen zu unterbinden. Selbst der Schulbesuch sei dem Kind verwehrt worden. Das Kind habe selbst darum gebeten, anderweitig untergebracht zu werden. Die Mutter sei nicht mehr in der Lage, ihrer Aufsichts- und Fürsorgepflicht nachzukommen, wie verschiedene Vorfälle in jüngster Zeit gezeigt hätten.
Das Vormundschaftsgericht hat mit Beschluß vom 30.1.1998 der Mutter erneut durch vorläufige Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und es auf das Kreisjugendamt als Pfleger übertragen. Seit 12.2.1998 ist das Kind, ursprünglich mit Zustimmung der Mutter, in einem Internat untergebracht. In den Ferien befindet es sich bei Pflegefamilien. Besuche der Mutter sind nur sehr eingeschränkt möglich. Mit Beschluß vom 22.6.1998 hat das Vormundschaftsgericht die Einschränkung der elterlichen Sorge erweitert und dem Pfleger gestattet, ärztliche Untersuchungen und Behandlungen des Kindes durchführen zu lassen sowie Anträge im Sinn des Achten Teils des Sozialgesetzbuchs zu stellen.
Die Mutter hat mit Telefax vom 26.2.1998 um „rechtlichen Schutz gegen das Jugendamt” gebeten. Mit Telefax vom 5.7.1998 hat sie auch gegen den Beschluß des Vormundschaftsgerichts vom 22.6.1998 „Einspruch” eingelegt. Das Landgericht hat das Kind und die Mutter durch ein beauftragtes Mitglied der Kammer angehört. Mit Beschluß vom 11.9.1998 hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Einen Antrag der Mutter, ihr für das Beschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe zu gewähren, hat es mit Beschluß vom 22.9.1998 abgelehnt. Die Mutter hat gegen die Sachentscheidung des Landgerichts weitere Beschwerde, gegen die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe Beschwerde eingelegt. Außerdem hat sie beantragt, ihr für das Verfahren der weiteren Beschwerde unter Beiordnung eines Rechtsanwalts Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB i.V.m. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO jeweils i.d.F. des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16.12.1997 (BGBl I S. 2942) sind zwar seit I...