Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung des rechtlichen Interesses vom wirtschaftlichen Interesse an Akteneinsicht
Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung des rechtlichen Interesses vom wirtschaftlichen Interesse an Akteneinsicht (hier in Insolvenzakte)
Normenkette
BGB §§ 810, 882g Abs. 2 Nr. 3, § 1378; EGGVG §§ 23, 26 Abs. 2 Sätze 1-2; GG Art. 20 Abs. 1, 3; GNotKG § 22 Abs. 1; InsO § 4; ZPO § 299 Abs. 2
Tenor
1. Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist gewährt.
2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
3. Der Geschäftswert des Verfahrens wird auf 13.000 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt Einsicht in die Gerichtsakte des abgeschlossenen Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Ehemannes (im Folgenden: Schuldner). Sie hat zur Begründung ihres beim Insolvenzgericht am 15. Februar 2019 gestellten Gesuchs vorgetragen, in der rechtshängigen Folgesache Zugewinnausgleich spiele die Höhe der Verbindlichkeiten des Schuldners eine Rolle.
Nach Anhörung des Schuldners hat das Amtsgericht München mit Bescheid vom 10. Mai 2019 die Akteneinsicht versagt. Die Gesuchstellerin sei weder gegenwärtig noch vor Verfahrensabschluss Beteiligte im Insolvenzverfahren (gewesen). Da der Schuldner ausdrücklich die Zustimmung zur Einsicht verweigert habe und nach Aktenlage kein rechtliches, sondern lediglich ein wirtschaftliches und auf Ausforschung gerichtetes Interesse an der Akteneinsicht bestehe, sei diese zu versagen. Ein rechtliches Einsichtsinteresse setze einen konkreten rechtlichen Bezug zu dem Streitstoff der einzusehenden Akte voraus. Daran fehle es hier. Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung lautet dahin, dass Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff EGGVG zum Oberlandesgericht München gestellt werden könne.
Gegen den am 15. Mai 2019 zugegangenen Bescheid hat die Antragstellerin, anwaltlich vertreten, beim Oberlandesgericht München am 17. Juni 2019, einem Montag, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, mit dem sie ihr Einsichtsgesuch weiterverfolgt. Sie beantragt,
das Amtsgericht München - Abteilung für Insolvenzsachen - unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Mai 2019 zu verpflichten, die begehrte Akteneinsicht zu gewähren,
hilfsweise das Akteneinsichtsgesuch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Zur Begründung macht die Antragstellerin geltend, der Schuldner berühme sich im familiengerichtlichen Verfahren einer Zugewinnausgleichsforderung, deren Berechnung ein mit "Null" angesetztes Anfangsvermögen zugrunde liege. Tatsächlich jedoch sei dessen auf den maßgeblichen Stichtag, den 4. Dezember 2004, bezogenes Anfangsvermögen wegen seiner damaligen erheblichen Verbindlichkeiten negativ gewesen, nachdem das Insolvenzverfahren frühestens am 29. August 2006 mit einer Entscheidung zur Restschuldbefreiung und nicht - wie im angefochtenen Bescheid wiedergegeben - durch Aufhebungsbeschluss vom 6. August 2001 beendet worden sei. Der Schuldner habe somit in der Ehe Schulden abgebaut. Zur genauen Bezifferung sei die Einsicht in die Insolvenzakte erforderlich, da der im familiengerichtlichen Verfahren bereits am 7. November 2018 zur Auskunft verurteilte Schuldner seiner Verpflichtung nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Weil sich die Höhe der Schulden aus der Insolvenzakte ergebe, sei der dem Insolvenzverfahren zu Grunde liegende Sachverhalt für die rechtlichen Belange der Gesuchstellerin von konkreter Bedeutung. Die benötigte Kenntnis über die genaue Höhe der Verbindlichkeiten diene ihrer Rechtsverteidigung. Das Familiengericht habe die Insolvenzakte antragsgemäß beigezogen und auch erhalten. Aufgrund des angefochtenen Beschlusses dürfe der Inhalt der Akte jedoch im familiengerichtlichen Verfahren nicht weitergegeben und somit bei der anstehenden Entscheidung nicht verwertet werden. Somit bestehe nicht nur ein wirtschaftliches, sondern ein rechtliches Interesse an der Einsicht. Zu bezweifeln sei außerdem, dass die Entscheidung über das Einsichtsgesuch von der zuständigen Stelle ergangen sei. In diesem Antragsschriftsatz sind der Schuldner als Antragsteller und die Einsichtsbegehrende als Antragsgegnerin bezeichnet.
Das Oberlandesgericht München hat die Antragstellerin auf die seit 1. Februar 2019 geänderte Zuständigkeit hingewiesen und den Antrag an das Bayerische Oberste Landesgericht weitergeleitet, wo er am 19. Juni 2019 eingegangen ist. Mit Schriftsatz gleichen Datums, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin zum Bayerischen Obersten Landesgericht Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist beantragt und dies mit der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung begründet.
Für den Antragsgegner, den Freistaat Bayern, beantragt die Generalstaatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf eine beim Amtsgericht eingeholte Stellungnahme, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Antragsschrift s...