Leitsatz (amtlich)
1. Der Inhaber einer Insolvenzforderung steht in einem gegenwärtigen, auf Rechtsnormen beruhenden Verhältnis zum Insolvenzschuldner und damit zum Gegenstand des eröffneten Insolvenzverfahrens.
2. Demjenigen, der unter Berufung auf seine Gläubigerstellung Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens begehrt, obliegt es, den Sachverhalt und die daraus hergeleitete Insolvenzforderung nachvollziehbar darzustellen und glaubhaft zu machen.
3. Das sich aus der Gläubigerstellung ergebende rechtliche Interesse an der Akteneinsicht entfällt nicht deshalb, weil mit dem Akteneinsichtsgesuch - möglicherweise sogar vorrangig - das Ziel verfolgt wird, festzustellen, ob Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder der Insolvenzschuldnerin bestehen.
Verfahrensgang
AG München (Aktenzeichen 1500 IN 1169/23) |
Tenor
I. Die Bescheide des Amtsgerichts München vom 10. und 14. November 2023 werden aufgehoben. Der Antragsgegner wird angewiesen, den Antrag der Antragstellerin vom 21. September 2023 auf Bewilligung von Akteneinsicht im Verfahren 1500 IN 1169/23 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.
II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgt die Antragstellerin ihr Gesuch um Akteneinsicht weiter.
Mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 1. Juli 2023 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) eröffnet. Dem liegt ein Eigenantrag der Schuldnerin vom 25. April 2023 zugrunde.
Mit Schreiben vom 21. September 2023 beantragte die Antragstellerin Einsicht in die beim Amtsgericht geführte Insolvenzakte. Ihr Einsichtsgesuch begründete sie nicht.
Auf gerichtliche Nachfrage teilte der Insolvenzverwalter mit, dass eine Forderungsanmeldung der Antragstellerin nicht vorliege. Daraufhin gab das Gericht der Antragstellerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2023 Gelegenheit, binnen zwei Wochen ihr rechtliches Interesse an der Einsicht darzulegen und glaubhaft zu machen.
Die Antragstellerin äußerte sich mit Schriftsatz vom 10. November 2023 und führte aus: Ihr habe die Schuldnerin ein Sofa für rund 8.000,00 EUR verkauft. Um dieses zu erhalten, habe sie, die Antragstellerin, im Rahmen eines Folgeauftrags weitere rund 4.000,00 EUR zahlen müssen. Sie gehe davon aus, dass sich die Schuldnerin bereits seit geraumer Zeit, insbesondere bereits bei Entgegennahme des Kaufpreises, in finanzieller Schieflage befunden und damit gerechnet habe, den geschlossenen Vertrag nicht erfüllen zu können. Für die Annahme sprächen diverse Medienberichte und der Umstand, dass die Schuldnerin unter Verletzung ihrer gesetzlichen Verpflichtung über die letzten Jahre keine Jahresabschlüsse offengelegt habe. Deshalb dürften Ansprüche gegen die Geschäftsführung der Schuldnerin aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO sowie i.V.m. § 263 StGB bestehen. Zur Prüfung dieser Ansprüche sei die Akteneinsicht erforderlich.
Dem Schriftsatz waren ein Schreiben des Insolvenzverwalters vom 4. Juli 2023 und der Ausdruck eines E-Mail-Austauschs aus August 2023 beigefügt. Der Insolvenzverwalter hatte die Antragstellerin im genannten Schreiben über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterrichtet und dies mit der Information verbunden, dass Forderungen gegen die Schuldnerin bis 21. August 2023 anzumelden seien. Gleichzeitig hatte er darüber informiert, dass für die voraussichtlich bis zu rund 7.000 Insolvenzgläubiger, zu denen auch die Antragstellerin gehöre, nach derzeitiger Einschätzung keine Aussichten auf Quotenzahlungen bestünden. Zudem könnten unerfüllte Kaufverträge aus der Masse nicht erfüllt werden; gemäß § 103 Abs. 2 InsO lehne er die Vertragserfüllung ab. Die E-Mails betreffen einen Kaufvertrag mit der Nr. ... zwischen Antragstellerin und Schuldnerin. Darin hatte eine Gesellschaft namens XXX der Antragstellerin das Angebot unterbreitet, den mit der Schuldnerin geschlossenen Vertrag zu übernehmen und gegen Leistung einer Zuzahlung von 4.220,76 EUR die Ware zu liefern.
Der Rechtspfleger beim Amtsgericht München hat das Begehren der Antragstellerin mit zwei Entscheidungen vom 10. November 2023 zurückgewiesen:
In einem Beschluss hat er den Antrag auf Akteneinsicht nach § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO abgelehnt mit der Begründung, dass die Antragstellerin nicht zu den Verfahrensbeteiligten gehöre. In einer weiteren als "Beschluss" bezeichneten Entscheidung hat er das Einsichtsgesuch nach § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen mit der Begründung, dass einer am Verfahren nicht beteiligten Person nur dann Einsicht in die Insolvenzakte gestattet werden könne, wenn ein rechtliches Interesse dargelegt und glaubhaft gemacht sei. Eine Antwort auf die gerichtliche Aufforderung, entsprechend vorzutragen, sei nicht eingegangen.
Mit weiterem "Beschluss" ...