Leitsatz (amtlich)

1. Einem Beschwerdeführer, der sich bei der für den Vergabesenat zuständigen Telefonvermittlung nach der Telefaxnummer des Vergabesenats erkundigt hat, ist Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren, wenn ihm eine unzutreffende Faxnummer genannt wird und der Beschwerdeschriftsatz deshalb verspätet eingeht.

2. Wird in einem solchen Fall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, gilt die sofortige Beschwerde als rechtzeitig eingelegt. Ein bereits erteilter Zuschlag ist nichtig.

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Nordbayern (Beschluss vom 21.07.2004; Aktenzeichen 320.VgK-3194-22/04)

 

Tenor

I. Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt.

II. Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 21.7.2004 wird einstweilen verlängert.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin und Vergabestelle schrieb als Los 1 einen Rahmenvertrag über Lieferung und Instandhaltung von Personalcomputern im Offenen Verfahren nach § 3a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A Europaweit aus. Auf einen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 11.2.2004 stellte die Vergabekammer mit Beschluss vom 10.3.2004 fest, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat und wies die Antragsgegnerin an, die Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten.

Die Antragstellerin stellte mit Schreiben vom 7.6.2004 erneut einen Nachprüfungsantrag. Diesen hat die Vergabekammer am 21.7.2004 ohne mündliche Verhandlung mit der Begründung zurückgewiesen, die Antragsgegnerin sei keine öffentliche Auftraggeberin i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB.

Gegen diesen ihr am 21.7.2004 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit Fax vom 4.8.2004 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Fax enthielt zwar den Vergabesenat beim Bayerischen Obersten LG als Adressaten mit zutreffender Postanschrift, jedoch die unzutreffende Fax-Nummer des OLG München. Die sofortige Beschwerde traf am 4.8.2004 beim OLG, aber erst am 5.8.2004 beim Bayerischen Obersten LG ein. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin hat sie der Beigeladenen am 5.8.2004 telefonisch den Zuschlag erteilt und ein Zuschlagsschreiben in Kürze in Aussicht gestellt. Gleichfalls am 5.8.2004 ging bei der Antragsgegnerin ein Fax der Antragstellerin ein, in dem diese mitteilte, sie habe fristwahrend mit Schriftsatz vom 4.8.2004 gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 21.7.2004 sofortige Beschwerde eingelegt; weitere Unterlagen waren dem Schreiben nicht beigefügt.

Die Antragstellerin beantragt, ihr gegen die Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde einstweilen zu verlängern. Sie trägt vor, am Nachmittag des 4.8.2004 habe der sachbearbeitende Rechtsanwalt seine Büromitarbeiterin N. angewiesen, die Fax-Nummer des Vergabesenats beim BayObLG zu ermitteln. Diese habe im Beisein von Rechtsanwältin W. die Vermittlung dieses Gerichts angerufen und ausdrücklich nach der Faxnummer des Vergabesenats beim Bayerischen Obersten LG gefragt. Daraufhin sei ihr die Faxnummer des OLG mitgeteilt worden. Sowohl die Büromitarbeiterin N. als auch Rechtsanwältin W. haben die Richtigkeit dieses Sachverhalts an Eides Statt versichert.

Die Antragsgegnerin, unterstützt durch die Beigeladene, wendet sich gegen den Antrag.

II.1. Der Antragstellerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu gewähren. Die Bestimmungen der §§ 222 ff. ZPO sind im wettbewerblichen Beschwerdeverfahren nach §§ 116 ff. GWB entsprechend anwendbar (§ 120 Abs. 2 GWB, § 73 Nr. 2 GWB i.V.m. §§ 233 ff. ZPO). Demnach setzt die Wiedereinsetzung voraus, dass die Fristversäumung unverschuldet ist; der Beteiligte muss sich gem. § 85 Abs. 2 ZPO allerdings ein Verschulden seines Bevollmächtigten anrechnen lassen.

Den Verfahrensbevollmächtigten trifft an der Versäumung der Frist kein Verschulden. Der angegriffene Beschluss der Vergabekammer wurde der Antragstellerin am 21.7.2004 zugestellt. Fristablauf für die Einlegung der sofortigen Beschwerde war demnach am 4.8.2004, 24.00 Uhr, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB. Die Frist darf bis zum letzten Tag ausgenutzt werden, doch sind dann die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht erhöht (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 233 Rz. 21; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 233 Rz. 164). Diese erhöhten Sorgfaltspflichten hat der Verfahrensbevollmächtigte nicht verletzt. Grundsätzlich muss der Anwalt sein Personal zur strikten Beachtung der jedem Gericht zugeordneten Fax-Nummer anhalten. Die Telefaxnummern sind grundsätzlich gebräuchlichen Verzeichnissen zu entnehmen (vgl. BGH NJW-RR 1997, 952), die auch in der Kanzlei gefertigt werden können (vgl. BayObLG VergabeR 2003, 207); sie können aber auch erfragt werden. Erkundigt sich der Betreffende telefonisch bei der ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge